Klärung des Erbes verkompliziert: Rieger-Akten verschwunden
Die Akten der "Wilhelm Tietjen Stiftung" des verstorbenen Neonazis Jürgen Rieger sind weg. Gesinnungskameraden Riegers sollen seine Villa in Blankenese durchsucht haben.
Die Rechtslage um die "Wilhelm Tietjen Stiftung Ltd." des verstorbenen NPD-Bundesvize Jürgen Riegers wird immer dubioser. Aus der Hamburger Kanzlei des über Jahrzehnte aktiven Neonazianwalts sind die Akten der Firma verschwunden. Ohne Aktenkenntnis können aber die Rechtsfragen zu den von der Firma erworbenen Immobilien kaum geklärt werden. Gebäude und Anwesen, wo Rieger Zentren für "nationale Menschen" eröffnen wollte.
Am 29. Oktober hatte die Familie den Tod Riegers bekanntgegeben. In einem Berliner Krankenhaus war schon am Montag der Hirntod des 63-Jährigen in Folge eines Schlaganfalles eingetreten. Bereits an jenem Tag sollen Gesinnungskameraden von Rieger die Firmenunterlagen aus der Kanzlei entnommen haben, berichtet NDR-Info.
An dem Montag sollen sie Zugang zu Riegers Villa in Blankenese bekommen haben. Seitdem sind, laut NDR-Info, die Akten weg. Der Clou erschwert die Firmen-Nachlassregelungen. Seit 2001 ist die Firma, die den Begriff "Stiftung" im Namen führt, in London in das Handelsregister eingetragen.
Seit dem Tod Riegers versuchen Behören und Verwaltungen, die Sachlage zu den Immobilien der Firma zu klären. Wollen doch Stadt- und Gemeindeverwaltungen die Eröffnung oder Nutzung einer Firmen-Immobilie für die rechtsextreme Szene verhindern. Als Bevollmächtigter der "Wilhelm Tietjen Stiftung Ltd." hat Rieger im thüringischen Pößneck das "Schützenhaus" und im niedersächsischen Dörverden den "Heisenhof" gekauft. Rechtstreite um die Nutzung laufen.
Im bayrischen Warmensteinanch und niedersächsischen Faßberg bot Rieger jeweils über eine Million Euro, um einen Gasthof und ein Hotel erwerben zu können. "Nach dem Tod von Herren Rieger ist die weitere Entwicklung immer noch unklar", sagt Warmensteinach Bürgermeister, Andreas Voit zur taz.
Ohne die Akten der Firma können die Behörden allerdings kaum die Eigentumsverhältnisse aufklären. Im Testament soll Rieger keinen Bevollmächtigten für die Firma benannt haben. Unklar ist aber, ob eventuell in den Firmenakten ein Bevollmächtigter aufgeführt wird, der die Geschäfte weiterführen möchte. Unklar ist ebenso, ob, wenn Rieger keinen Bevollmächtigen ernannt hat, der Nachlass der Familie oder der britischen Regierung zufällt.
Ein Name als potentieller Bevollmächtigter taucht schon auf: Ingemar Lext. Denn seit 2004 ist Lext, der aus der schwedischen rechtsextremen Szene kommen soll, "Company Secretaries" der Firma. Im Report des Unternehmens aus dem Jahr 2008 hat er diese Funktion noch inne. Dem Report ist jedoch nicht zu entnehmen, welche Befugnisse er besitzt. Lexts Anschrift ist Sveneby Sateri, ein größeres Landgut, das Rieger schon Mitte der 1990er erwarb.
Die veröffentlichten Bilanzen des Reports offenbarten, das die Firma ein Sachkapitalanlage von rund 477,927 Euro hat. Er zeigt aber auch, das dem Kapital rund 527,175 Euro Forderungen entgegen stehen. Diese Summe deckt sich fast mit der Gesamthöhe von Darlehen, die Rieger der NPD geben haben soll.
Immer wieder hatte Rieger der NPD bei finanziellen Schwierigkeiten ausgeholfen. Neue Strafforderungen gegen die NPD sollen indes anstehen. Allein zwischen 2002 bis 2006 wurden nach Erkenntnissen des Landeskriminalamts Düsseldorf Spenden und Mitgliedsbeiträge an den Parteivorstand in "erheblichem Umfang" zu hoch angegeben. Die Summe der Fehlbeträge sollen sich auf 870.154 Euro belaufen, berichtet Spiegel Online.
In Pößneck hat die Stadt allerdings trotz Rechtsunklarheiten bei der "Wilhelm Tietjen Stiftung Ltd." schon gehandelt. Dass im Testament Rieger kein Bevollmächtigen benannte, ermunterte die Stadtverwaltung. "Über diese Nachricht freuen wir uns, das läst neue Wege beschreiten" sagte Julia Dünkel, Kulturamtsleiterin in Pößneck, der taz am Donnerstag. Am Samstag versiegelte das Ordnungsamt das Haus. Im Rahmen einer Eigentumssicherung für die Erben, heißt es aus der Verwaltung.
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