Kita-Streiks: Kinder hüten macht krank
Fast 90 Prozent der ErzieherInnen leiden unter ihrem Job. Ab Mittwoch streiken über zehntausend PädagogInnen bundesweit für betriebliche Gesundheitsförderung.
BERLIN taz |Am Mittwoch könnten Eltern mit ihren Kindern vor verschlossenen Kitas stehen. Denn in fast allen Landeshauptstädten sind ErzieherInnen im Warnstreik: Sie fordern eine betriebliche Gesundheitsförderung und eine bessere Bezahlung.
"Ich arbeite seit zwölf Jahren als ausgebildete Facherzieherin für Integration. Mit meiner Kollegin betreue ich 18 Kinder im Alter von viereinhalb bis sechs Jahren. Zwei davon sind Integrationskinder, die ich speziell fördern soll. Diese Förderung fällt oft aus, weil ich Kolleginnen vertrete.
Als Erzieherin verdiene ich netto zirka 1.200 Euro pro Monat. Morgens hole ich die Kinder zuerst vom Frühdienst ab. Dann gehen wir in unsere Gruppenräume. Wenn unsere Reinigungskräfte krank sind, putzen wir vorher noch selbst die Räume.
Nach dem Frühstück und dem Morgenkreis gehen wir zum Toben bei gutem Wetter nach draußen. Bei schlechtem Wetter bleiben wir mit den Kindern drinnen. Dann ist unsere Lärmbelästigung viel höher.
Honoriert wird unsere Arbeit leider nicht in dem Maße, wie wir es verdient hätten. Als Erzieherin in einer Vorschulgruppe bin ich ja privilegiert, meine Kolleginnen im Elementarbereich haben eine noch höhere Arbeitsbelastung. Sie betreuen Kinder ab eineinhalb Jahren und müssen Windeln wechseln, füttern und Kinder in den Schlaf wiegen.
Wir Erzieherinnen hier haben fast alle einen Zweitjob, einige einen dritten. Dies ist ein enormer Stress. Ich selbst kann mir eigentlich nicht vorstellen, mein Leben lang Erzieherin zu bleiben. Natürlich bin ich dafür, dass man unseren Lohn erhöht. Es gibt ja Länder, da werden Erzieher wie Lehrer bezahlt. Manchmal glaube ich, die Politiker hier haben keine Kinder. Sonst würden sie Gesetze anders machen."
PROTOKOLL: MONIKA SCHMIDTKE
"Wir haben bundesweit zum Warnstreik aufgerufen", sagte Achim Meerkamp vom Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di am Dienstag in Berlin. Auch Sozialdienste, Heime und Jugendämter könnten betroffen sein. Schwerpunkte der Warnstreiks sind laut Ver.di Köln, Düsseldorf, Dortmund, Stuttgart, Mainz, München, Leipzig, Dresden, Kiel und Hannover - aber nicht Berlin und Hamburg. Ver.di rechnet mit bis zu 14.000 Streikenden.
Die Gewerkschaft will damit den Druck auf die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) erhöhen. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat ihre Mitglieder zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen.
Im Vordergrund der Warnstreiks steht der Wunsch nach einer betrieblichen Gesundheitsförderung. Besonders Beschäftigte in Kitas und Kindergärten fühlen sich im Arbeitsalltag überlastet. Eine von Ver.di in Auftrag gegebene Studie ergab, dass sich nur 26 Prozent der ErzieherInnen vorstellen können, unter den jetzigen Arbeitsbedingungen gesund in Rente zu gehen. Nur 13 Prozent haben während oder nach dem Arbeitstag keine gesundheitlichen Probleme - der Rest leidet unter anderem an Kopf- und Rückenschmerzen.
Doch Verhandlungen mit den Tarifpartnern über einen Gesundheitstarifvertrag, in dem Ver.di eine jährliche Überprüfung der Belastungen festschreiben will, sind noch nicht in Gang gekommen. "Die Arbeitgeber machen keine Anstalten, auf uns zuzugehen", kritisierte Meerkamp. Die Gewerkschaft hatte die Verhandlungen am 30. April für gescheitert erklärt und startet am Donnerstag eine Urabstimmung. Am 14. Mai soll der Fahrplan veröffentlicht werden.
Die Arbeitgebervereinigung VKA warf Ver.di vor, die Forderung nach einem Tarifvertrag für Gesundheitsschutz vorzuschieben, um Forderungen nach mehr Geld Nachdruck zu verleihen. "Der Streikaufruf ist unnötig. Er trifft die Kinder und ihre Eltern und bringt uns inhaltlich nicht weiter", sagte VKA-Hauptgeschäftsführer Manfred Hoffmann.
Hoffmann spielt auf die Verhandlungen über die Eingruppierung von ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen an, die parallel zum Thema der Gesundheitsförderung laufen. Ver.di bemängelt, dass mehr als ein Drittel der ErzieherInnen weniger als 1.500 Euro brutto im Monat verdient, und fordert mehr Bezahlung. Die Verhandlungen sollen Ende Mai fortgesetzt werden. Die derzeitige Auseinandersetzung über die Arbeitsbedingungen von ErzieherInnen hat auch Auswirkungen darauf, wie der Kitaausbauplan der Bundesregierung vorankommt. Bis 2013 sollen alle Kinder unter drei Jahren einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz haben. Dafür müssen geschätzte 50.000 bis 80.000 neue ErzieherInnen eingestellt werden.
Ob das Ziel erreicht werden kann, ist fraglich. "Der Erzieherberuf wird in zunehmendem Maße unattraktiver für junge Schulabgänger", sagt Norbert Hocke, Vorstandsmitglied der GEW. Die Kommunen hätten immense Probleme, weil schon jetzt Fachpersonal fehle oder in Rente gehe. "Es muss sich an der Bezahlung und an den Bedingungen dringend etwas ändern, damit der Kitaausbauplan erfüllt werden kann", sagt Hocke.
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