Kirchentag: Wo bleibt der Mensch?
Pünktlich zum Christentreffen will Bremens Innensenator Ulrich Mäurer seine Stadt sauber haben: Obdachlose sollen weichen. Das Kirchentagsbüro sieht es mit Wohlgefallen, von der Basis kommt Kritik.
Bremen will sich hübsch machen für den Kirchentag. 100.000 Besucher werden Ende Mai erwartet, da soll alles freundlich wirken. Grund genug für Innensenator Ulrich Mäurer (SPD), noch schnell Besen und Kehrblech rauszuholen. Wer nicht ins Bild passt, muss verschwinden.
Mäurer via Bild: "Die vielen Trinker sind wirklich kein angenehmer Anblick. Gerade zum Kirchentag sollen die Besucher von unserer Stadt einen schönen Eindruck bekommen. Darum werden wir dafür sorgen, dass dieses Bild sich ändert." Seine Worte bilden den Schlusspunkt eines schmutzigen Kampagnenstücks der Bild, in dem gegen "betrunkene Obdachlose und Penner" gehetzt wird, die in der Innenstadt "dösen und vor sich hin lallen". Die müssten weg, fordert das Blatt, und Mäurer stimmt zu.
Alle zwei Jahre wird er gefeiert, erwartet werden für den diesjährigen in Bremen (20. bis 24. Mai) um die 100.000 Menschen. Sie zahlen 89 Euro für eine Dauerkarte (ermäßigt 49 Euro) und haben damit Zutritt zu rund 3.000 Veranstaltungen - darunter Bibelarbeit, Workshops, Diskussionsrunden, Theater- und Filmabende. Der Kirchentag ist kein reines Glaubensfest, sondern will sich mit aktuellen politischen und kulturellen Themen auseinander setzen, beispielsweise Klimaschutz. (eib)
Der Innensenator, der gestern aushäusig und nicht zu sprechen war, hat das nach Angaben seines Pressesprechers tatsächlich so gesagt. Das Problem sei nicht neu, ständig störten sich Leute an Bettlern und Alkoholisierten. Derzeit werde im Hause geklärt, wie man das Problem lösen könne.
Dass Mäurer den evangelischen Kirchentag mitsamt seiner Besuchermassen als Vehikel für die Aufräumaktion benutzt, regte das Organisationsbüro des Christentreffens nicht zum Nachdenken an. Die Pressesprecherin des Bremer Kirchentags, Katja Tamchina, spulte zunächst herunter, dass der Kirchentag "eine alkoholfreie Veranstaltung" sei, weil man gegenüber den jugendlichen Besuchern "eine Fürsorgepflicht" habe. Die offenbar verspürt man nicht gegenüber denen, die mitten in der Gastgeberstadt am Rande stehen, im Gegenteil: "Wenn die Stadt sagt, sie wolle sich schön präsentieren, dann freut uns das", sagte Tamchina. Ansonsten könne sie nur für die Veranstaltung sprechen und wolle sich "nicht in die Bremer Innenpolitik einmischen". Instrumentalisiert fühle sie sich jedenfalls "als Kirchentag" nicht.
Möglich, dass diese Art der Zurückhaltung gegenüber den Verschönerungsaktionen des Innensenators im Kirchentagsbüro Zeichen fortschreitender Abgehobenheit ist: Das Fest soll fröhlich werden, bloß keinen Ärger machen, bloß nicht aufs Parkett der Politik schliddern, was auch immer dort passieren mag.
Von der Basis dagegen kommen andere Töne: Der Bereichsleiter Wohnungslosenhilfe im Verein Innere Mission, Bertolt Reetz, kümmert sich unter dem Dach der Diakonie um Obdachlose und nennt Mäurers Gerede "eine Geste der Hilflosigkeit". Es sei "zu schlicht, nur zu sagen: Die müssen weg", sagt Reetz. Es fehle an niedrigschwelligen Beschäftigungsangeboten, wie es sie etwa in Groningen gebe. Zu Zeiten der großen Koalition in Bremen, habe sich der damalige Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) einmal sehr interessiert an solchen Projekten gezeigt. Kurz danach habe sich jemand aus dem Polizeipräsidium bei Reetz gemeldet, er schickte Info-Material dorthin - und hat seither nichts mehr davon gehört. Sein Vorschlag: "Herr Mäurer kann ja dort mal nachfragen", um daran anzuknüpfen. "Wenn er verspricht, uns bei Beschäftigungsangeboten und tagesstrukturierenden Maßnahmen zu helfen, dann unterstützen wir ihn im Kampf gegen Wohnungslosigkeit gerne", versicherte Reetz.
Beim Kirchentag wird die Innere Mission in der Fußgängerzone dafür sorgen, dass es für die Menschen einen Platz gibt, die Mäurer zusammen mit Bild vertreiben will: Im Café Papagei werden Obdachlose kostenlos Kaffee und Kuchen servieren, es soll ein Ort der Begegnung werden und ein Ort der Ruhe - für Menschen mit und ohne Dach über dem Kopf. "Der Kirchentag ist teuer, man muss Geld haben, um teilzunehmen. Aber der Kirchentag soll für alle da sein", deshalb hätten sie dieses Projekt geplant, sagt Reetz.
Die Bild hat zur Illustrierung ihrer Kampagne übrigens just jene zwei Obdachlosen abgebildet und verpixelt, die in Bremen jeder kennt, weil sie seit Jahren am McDonalds an der Domsheide sitzen - im Schatten der Domtürme, in Sichtweite eines Werbeplakats des Kirchentags mit dem Slogan "Mensch, wo bist Du?". Die Polizei, sagen die beiden, hätte sie noch nie weggeschickt, sie glauben auch nicht, dass sich das ändern wird. "Wir sitzen hier schon so lange."
Bei der Polizei sieht man die Lage genauso entspannt: Es gebe nun mal Obdachlose, man könne sie nicht an den Stadtrand verbannen, sagte ein Sprecher. Nur vom Marktplatz halte man sie fern, gestützt auf ein Ortsgesetz. "Und da halten sie sich auch dran."
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