Kirchenaustritt: Unglaube noch gebührenpflichtig
30 Euro muss ein Christ in Nordrhein-Westfalen zahlen, wenn er aus der Kirche austreten will. Ein Ex-Katholik legt gegen diese Praxis beim Verfassungsgericht Beschwerde ein.
KÖLN taz Fabrice Witzke ist empört. "Es kann doch nicht sein, dass ich Geld dafür zahlen muss, um aus der Kirche auszutreten", sagt der vom Glauben abgefallene Kölner. Doch genau das verlangt seit einiger Zeit das nordrhein-westfälische Kirchenaustrittsgesetz. Für den Ex-Katholiken Witzke ist das eine unzulässige Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Der 28-jährige Jurist hat deshalb jetzt beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde eingereicht.
Wenn jemand einen Verein verlassen will, dann darf dieser keine Gebühr dafür verlangen. Dies würde eine "unzulässige Erschwerung des Austritts" darstellen, so regelt es das Vereinsrecht. Wer hingegen aus der Kirche - in die er in der Regel zwar kostenfrei, aber ungefragt im Kindesalter durch die Taufe gelangte - austreten will, muss dafür seit dem vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen beim zuständigen Amtsgericht 30 Euro auf den Tisch blättern. So hat es die schwarz-gelbe Landtagsmehrheit gegen die Stimmen von SPD und Grünen beschlossen.
Es sei nicht die Summe, um die es ihm gehe, sagt Witzke. "Mir geht es ums Prinzip." Ausdrücklich betont das SPD-Mitglied, er respektiere andere in ihrem Glauben. "Aber ich möchte, dass auch mein Unglauben respektiert wird." Durch die Gebühr - und auch durch die staatlich verordneten Kirchenaustrittsformalien von der öffentlichen Beurkundung bis hin zum Erscheinen auf dem Amtsgericht - werde nun einmal sein Grundrecht auf negative Religionsfreiheit verletzt, sagt Witzke.
Mit der Gebühr werde nur der Verwaltungsaufwand gedeckt, der durch den Kirchenaustritt entstehe, begründete Landesjustizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter im Sommer 2006 die Einführung. "Dass der Staat vom Bürger für Aufgaben, die er übernimmt, Gebühren erhebt, ist nicht ungewöhnlich", sagte die Christdemokratin seinerzeit im Landtag. "Mit der Freiheit der Religionswahl oder der Religionsausübung hat das nichts zu tun." Eine Argumentation, die der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) nicht nachvollziehen kann. "Solange der Staat die Mitgliederwaltung der Kirchen in deren Auftrag erledigt, sollte er sich die dadurch entstehenden Verwaltungskosten auch von den Kirchen erstatten lassen", fordert der IBKA-Vorsitzende Rudolf Ladwig. Der in Hagen ansässige Verein hält die Kirchenaustrittsgebühr ebenfalls für verfassungswidrig und unterstützt aus einem Spendenfonds die Verfassungsbeschwerde Witzkes.
Die Erhebung einer solchen Abgabe ist indes nicht allein ein nordrhein-westfälisches Phänomen. Mit Bayern und Hamburg an der Spitze, die jeweils 31 Euro verlangen, bitten derzeit zwölf der sechzehn Bundesländer zum Kirchenaustritt Entschlossene zur Kasse. Völlig unübersichtlich ist die Lage in Baden-Württemberg. Hier sind die Sätze auch noch von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. So ist man in Tuttlingen schon mit 15 Euro dabei. Das im Landkreis Heilbronn gelegene Städtchen Neudenau verlangt hingegen die bundesweite Rekordsumme von 60 Euro für den Austritt. Mit 10 Euro am preiswertesten sind die Länder Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Die letzten Gebührenfreiheitsoasen befinden sich in Berlin, Brandenburg, Bremen und Thüringen. Über die Annahme der Beschwerde zur Entscheidung haben die Karlsruher Richter noch nicht befunden.
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