Kirchenasyl 2: Die Odyssee der Familie Hammoudeh
Die Hammoudehs gehören zu den ersten Familien, die vor 25 Jahren in das Asyl der Kirche zum Heiligen Kreuz gekommen sind. Bis heute leidet das Ehepaar an den Folgen der traumatischen Angst vor der Abschiebung.
Safiyeh Hammoudeh möchte nicht fotografiert werden. Sie möchte auch nicht über die Ereignisse sprechen, die sie und ihre Familie vor 25 Jahren in das Asyl der Kirche zum Heiligen Kreuz getrieben haben. "Es tut mir innerlich zu weh. Mein Mann wird Ihnen unsere Geschichte erzählen."
Und Ibrahim Hammoudeh erzählt - abseits der Jubiläumsfeierlichkeiten der Kirchenasylbewegung, in einem kleinen Nebenraum der Kirche. Er erzählt, wie er Anfang der 70er-Jahre für nur einen Tag aus seinem Heimatland Jordanien in den Libanon gefahren ist. "Einfach um mal zu gucken, wie es da ist." Und wie er nach seiner Rückkehr plötzlich politischen Anfeindungen - Unterstellungen, wie er selbst sagt - ausgesetzt war und keine Arbeit mehr bekommen hat. "Dann kam 1974 die Flucht in einem Auto über Syrien nach Berlin", erzählt er. Er schickt seinen Pass zurück nach Jordanien, weil der damals auch für seine Frau und Kinder galt. Kurze Zeit später folgt Safiyeh Hammoudeh ihm mit den drei Kindern.
Bis 1983 ging alles gut. Ibrahim Hammoudeh arbeitet in einer Textilfabrik, zu den ersten drei Kindern kommen weitere vier hinzu. "Mein Aufenthalt war durch den Arbeitsplatz gesichert", sagt er. Das Problem seien die Unterlagen seiner Frau gewesen, die zu Hause auf die Kinder aufpasste. "Aber wie hätte ich ohne Safiyeh hier mit sieben Kindern leben sollen?" Die zuständigen Behörden hätten sich für diese Frage nicht verantwortlich gefühlt.
Hammoudehs Unterlippe zittert und es wird für eine Weile schwer, die weiteren Zusammenhänge der Geschichte zu verstehen. Später, beim Entwirren der Wortfetzen, erschließt sich ihr trauriger Höhepunkt.
Eines Morgens im Oktober 1983 kommt Ibrahim Hammoudeh von der Nachtschicht nach Hause. Gegen halb acht klingelt es an der Tür. Sechs Polizisten kommen in die Wohnung und wollen seine Frau mitnehmen - in die Abschiebehaft. "Ich habe gefragt, was mit den Kindern passieren soll, mit den gerade geborenen Zwillingen", sagt Hammoudeh. Die Polizisten hätten aber nur seine Frau gewollt. Vor lauter Angst und Verzweiflung ist Safiyeh Hammoudeh kurz davor, sich aus dem Fenster zu stürzen. Zwei weitere Polizeiwagen rollen an.
Irgendwie schaffen es die Hammoudehs, die Verhaftung aufzuschieben. Noch am selben Tag ruft die alarmierte Klassenlehrerin ihrer Tochter die Kirche zum Heiligen Kreuz an und bittet um Unterstützung. Ab jetzt geht alles ganz schnell. Die ganze Familie packt ihre Matratzen unter die Arme und taucht die nächsten zehn Tage in der Kreuzberger Gemeinde unter. Jürgen Quandt, der Pfarrer der Kirche, erreicht eine vorläufige Verlängerung des Aufenthaltsrechts für Safiyeh Hammoudeh.
Die Situation scheint sich beruhigt zu haben. Die Familie zieht zurück in ihre Wohnung. Als Safiyeh Hammoudeh wegen einer weiteren Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung in die Ausländerbehörde geht, wird sie dort verhaftet. Die Angst um die Zukunft ihrer Kinder nimmt erneut überhand. Sie bricht zusammen und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Der Arzt begreift die Situation und die Notwendigkeit für Zivilcourage und eine Notlüge. "Frau Hammoudeh ist schwanger, sie muss hierbleiben", sagt er den Polizisten.
Das darauf folgende Jahr wird für die Familie zur Odyssee. Hin und her ziehen sie, zwischen der Gemeinde, den Wohnungen von Kirchenmitarbeitern, ihren eigenen vier Wänden. Immer in konstanter Angst vor der Polizei und gleichzeitiger Hoffnung auf ein paar weitere Tage Aufenthaltsverlängerung. Das Kirchenasyl begleitet den Kampf um das Bleiberecht für Safiyeh Hammoudeh. Es übernimmt die heiklen Ämtergänge und organisiert einen Anwalt. "Die haben unsere Kinder sogar zur Schule gebracht und abgeholt - damit die Polizei sie nicht auf dem Weg einsammelt", erinnert sich Ibrahim Hammoudeh.
Nach einem Jahr wird das Verfahren um das Bleiberecht seiner Frau neu aufgerollt - und zu Gunsten der Familie entschieden. "Ich werde nie vergessen, was die Gemeinde damals für uns getan hat", sagt Ibrahim Hammoudeh gerührt.
Ein Happy End? Safiyeh Hammoudeh hat die Vergangenheit in den letzten 25 Jahren nicht losgelassen. "Seit dieser Zeit hat sie Schmerzen in den Knochen und ist oft so traurig", erzählt ihr Mann. Auch seine Ängste vor Polizei und Ausländerbehörde sitzen tief. Beim Erzählen ist er vorsichtig, hat Sorge, dass die Polizei wegen dieses Artikels wieder vor seiner Tür stehen könnte.
Eine Mitarbeiterin der Kirchengemeinde kommt in den kleinen Nebenraum. Sie bringt Hammoudeh ein Stück der Jubiläumstorte, auf der ein Flüchtling aus Marzipan sitzt. Hammoudeh bedankt sich lächelnd, den Marzipanflüchtling rührt er aber nicht an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!