Kirche: Gekommen, um zu bleiben

Beim Pastor laufen auf der Insel Pellworm alle Fäden zusammen. Doch was passiert, wenn der Pastor eine Frau ist, die mit drei Söhnen kommt und ohne Mann.

Susanne Büstrin da Costa vor dem Deich von Pellworm. Bild: Carina Braun

Es war ihr erster Arbeitstag, und Susanne Büstrin da Costa noch gar nicht richtig angekommen auf der Insel, als der Bürgermeister sie zur Seite nahm und unmissverständlich klarstellte, wer hier auf Pellworm das Sagen habe. Der Pastor, sagte er, komme stets vor dem Bürgermeister. Der Pastor, und nun also die Pastorin: Das sei schon immer die wichtigste Person auf der Insel gewesen.

"Damit hätte ich nie gerechnet", sagt sie und lacht, während sie in zartem Service Kaffee serviert. Das Büro liegt nahe der Neuen Kirche im Herzen der Insel, die Einrichtung unaufdringlich, eine Kerze neben dem Computer, kein Kreuz an der Wand. Draußen ist es diesig, der Nebel kriecht über die Deiche. Es ist Herbst, und im Herbst ist die Insel noch ein bisschen stiller als sonst.

Vor ihr haben in diesem Büro nur Männer gearbeitet, der letzte war 18 Jahre da. Und nun sie: Eine schmale, hübsche 47-Jährige, die sich modisch kleidet und die Haare lang und offen trägt. Die viel lacht und irgendwie zu jung wirkt für so ein altes Amt, zu lebensfroh für dieses Wetter. Die in brasilianischen Favelas Frauen die Verhütung erklärte. Sie und die stille Insel: Das mochte auf den ersten Blick nicht so recht zusammenpassen.

Susanne Büstrin da Costa ist schon immer umtriebig gewesen. Sie hat in Kiel Theologie studiert und sich mit ihren Kommilitoninnen den weiblichen Blick auf die Bibel erkämpft. Nach dem Studium ging sie nach Brasilien, lernte ihren Mann kennen und gelangte über Umwege nach Eckernförde. Der Mann, ein Brasilianer, war ihr nach Deutschland gefolgt, hatte sich aber nie eingefunden in der Fremde. Die Ehe scheiterte.

Susanne Büstrin da Costa dachte an Hamburg, an Lissabon, an eine neue Herausforderung. Und entschied sich für Pellworm: 1.100 Einwohner, zwei Kirchen, zwei Bäckereien und ein Freizeitbad, das PelleWelle heißt. Die letzte Fähre geht abends um halb sechs.

Es ist die drittgrößte nordfriesische Insel - und die vielleicht unbekannteste. Sie ist ein bisschen anders als die Nachbarinseln Amrum, Föhr oder Hallig Hooge. Sie liegt tiefer, sie ist grüner und größer, und sie hat vor allem keinen Sandstrand. Manchmal, wenn Susanne Büstrin da Costa mit den Einwohnern zusammensitzt, hört sie sich ihre Klagen an: Dass wieder Gäste abgesagt haben, weil es keine Dünen gibt.

Pellworm hat viel Landwirtschaft und den Ruf, ein bisschen ursprünglicher zu sein als die anderen Inseln. Weil wenige Touristen kommen, sind die Pellwormer meist unter sich. Feinde, sagen sie, macht sich auf der Insel keiner: Weil man nicht ausweichen kann und sich immer wieder trifft. Es ist eine Welt, in der die Nähe schnell zu Enge werden kann - und umgekehrt.

Hätte sie zuvor nicht schon den alten Pastor vertreten, hätte Susanne Büstrin da Costa sich nicht hergewagt. "Ich hätte Angst gehabt", sagt sie: "Angst, ausgeliefert zu sein und aufgesogen zu werden." Aber sie hatte bei früheren Besuchen eine andere Erfahrung gemacht: Dass die Leute offener waren als auf dem Festland, direkter und ehrlicher. "Das hat mich gereizt: Die karge, nur vom Deich geschützte Insel - und die Menschen, die sich nicht verkaufen."

Ihre Arbeit ist eine andere hier. In Eckernförde hatte sie mit Institutionen zu tun, auf Pellworm fast nur mit Menschen. Als Pastorin hat sie besonders wetterfest zu sein, auch beim stärksten Wind ist sie ist viel unterwegs: Leute besuchen, reden. Sie gibt Kindern Konfirmationsunterricht, kommt zur Hochzeit, zum Kaffee. Inselpastorin auf Pellworm, das heißt oft einfach: Da zu sein.

Sie arbeitet eng mit dem Kirchenvorstand zusammen, die Mitglieder sind zugleich Lehrer und Eltern, alles überschneidet sich, alles ist letztlich eins. Die politischen Entscheidungen trifft der Bürgermeister, aber die gesellschaftlichen Fäden laufen bei Susanne Büstrin da Costa zusammen. Die Kirche hat hier noch eine stärkere Bedeutung, sie ist selbstverständlicher als auf dem Festland und eng mit der Geschichte verknüpft, mit dem Wind, dem Wetter, der Gefahr. Über Jahrhunderte haben die Pellwormer ihre Deiche immer höher gebaut und einen Schutzwall um ihr Zuhause gezogen. Sturmfluten haben die Insel geformt und bedrohen sie bis heute. Pellworm liegt im Innern unter dem Meeresspiegel - und würde, sollte das Wasser einmal über die Deiche steigen, volllaufen wie eine Wanne.

Wie intensiv sie die Nähe der Natur hier erlebt, das hat Susanne Büstrin da Costa selbst überrascht. Im ersten Monat bereits hat sie die erste Sturmflut erlebt und dieses mulmige Gefühl, wenn die Fähre nicht mehr kommt. Jedes Mal, wenn es stürmt, sind die Pellwormer abgeschnitten und wieder auf sich gestellt. Weil die Gefahr immer von draußen kam, haben sie gelernt, zusammenzurücken. "Die Gemeinschaft ist immer das Wichtigste", sagt Susanne Büstrin da Costa. "Jeder ist für jeden da."

Sie haben es ihr leicht gemacht, sich heimisch zu fühlen. Seit zwei Jahren ist sie nun fest eingebunden auf der Insel, kennt alle Namen und alle Geschichten. Mit dem Bürgermeister ist sie zu Jörg Pilawa ins Fernsehen gegangen, um Geld für die Restaurierung der Alten Kirche zu erspielen. Dass sie mit drei Söhnen, aber ohne Mann auf die Insel kam und die Geschichte ihrer Trennung ihr schon vorausgeeilt war, sei nie ein Problem gewesen, sagt sie: "Der Blickwinkel ist ein anderer hier. Dinge, die vom Festland kommen, werden nicht unhinterfragt übernommen."

Und nun haben ihr die Pellwormer neben der Neuen Kirche einen Sandhaufen aufgeschüttet. Er wird noch eine Weile da liegen und mit der Zeit absacken, das Gelände ist feucht, und wenn der Sand im Frühjahr die Erde trockengelegt hat, dann wollen die Pellwormer ihr darauf ein Pastorat bauen.

Bislang wohnt sie mit ihren drei Söhnen noch in einer Ferienwohnung ganz am Rand der Insel. Sie freut sich auf das Pastorat und will noch ein paar Jahre bleiben. Aber sie hat noch nicht das Gefühl, am Ende angekommen zu sein. Manchmal, wenn die Kollegen von ihren langjährigen Pastoraten erzählen und vom Sesshaft-Sein schwärmen, gerät sie zwar ein bisschen ins Grübeln. "Aber so bin ich einfach nicht", sagt sie. "Ich bringe die Dinge zu Ende, die ich angefangen habe. Aber jedes Mal, wenn ich einen Posten antrete, freue ich mich auch schon darauf, was danach kommen wird."

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