Kinshasa wächst rasant: Manhattan am Kongo
Von Lebensqualität ist in Kinshasa keine Spur. Das soll sich ändern: Ein Hedgefonds baut eine neue Stadt auf einer künstlichen Insel im Fluss. Die Elendsquartiere vor der Tür bleiben.
KINSHASA taz | Hinter der letzten Reihe windschiefer Holz- und Wellblechhütten lichtet sich der Horizont. Eine frische Brise weht vom gewaltigen rostbraunen Fluss und verweht den Gestank des Unrats, der in dreckigen Pfützen fault. Fischer paddeln in hölzernen Pirogen durch das Sumpfgras. In der Ferne sieht man die Bürotürme von Kinshasas Stadtzentrum in einer Dunstglocke liegen.
Im Vordergrund ragt eine gewaltige Pumpe wie ein Kanonenrohr in die Luft, die große Mengen Sand ausspuckt. Quadratmeter für Quadratmeter begräbt sie täglich das Sumpfgras unter einer sechs Meter dicken Sandschicht. Wo einst das seichte Flussbett des Kongos war, entsteht nun eine künstliche Insel. Und wo die schlammige Sackgasse endete, führt nun eine frisch geteerte Straße auf die Sandbank.
Das künstliche Paradies im Fluss wird streng bewacht. Neben der Schranke steht Silvyian Andinga vor seinem zerstörten Backsteinhäuschen. Von außen lässt sich erkennen: Die Seitenwand hat Sofa, Tisch und Stühle unter sich begraben. Die Planierraupe habe die Mauer plattgemacht, schimpft der Alte: „Ich habe 16 Kinder und kein Dach über dem Kopf.“ Mit 3.000 Dollar Entschädigung wollte der Bauherr Andinga für sein zerstörtes Domizil abspeisen. Doch der Familienvater zog vor Gericht. „Der investiert dort Millionen in eine ganze Stadt und ich soll für ein paar Dollar meine Sachen packen?“
Fehlende Mittelschicht: In einem vom Krieg zerstörten Land wie der DR Kongo, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung von 1,25 Dollar pro Tag lebt, ist die Schicht zwischen der extrem armen Masse der Bevölkerung und den wenigen Superreichen noch immer sehr gering. Und sie ist fließend.
***
Kommende Mittelschicht: Die Afrikanische Entwicklungsbank (ADB) rechnet mit einem Anstieg der Mittelschicht im Subsahara-Afrika von 34 Prozent der Bevölkerung 2010 auf 42 Prozent im Jahr 2060. Die ADB geht von einer jungen Generation aus, die im Schnitt 1.460 Dollar bis 7.300 Dollar pro Jahr erwirtschaftet.
Eine nackte Insel
Wo Andinga noch vor zwei Jahren angeln ging, wölbt sich derzeit nur eine nackte Insel aus den Wogen des Kongo. Noch ist es kaum vorstellbar, dass dort in spätestens zehn Jahren gläserne Hightechgebäude in den Himmel ragen werden. Eine moderne Stadt in der Stadt soll hier entstehen: mit 200 Villen, 10.000 Wohnungen und ebenso vielen Büros, Strom und Wasserversorgung, Glasfaserverkabelung, Einkaufszentren, Kirchen, Hotels, Schulen, Krankenhäusern, Sportclubs und Grünanlagen – all das, wovon Menschen wie Andinga nicht einmal zu träumen wagen.
Lediglich ein grasgrünes Haus steht an der Promenade, ein Modellobjekt. Daneben rührt ein Betonmischer Baumasse an. Dutzende Arbeiter legen in der tropischen Mittagshitze das Fundament für das nächste Haus. In einem Baucontainer steht eine komplexe Maschine: Arbeiter klemmen eine Rolle plattgewälzten Stahl in die Maschine ein. Auf Knopfdruck beginnt die Maschine, das Stahlband einzuziehen und mittels Computersoftware in ein verwinkeltes Gerüst zu pressen und zu biegen. Wie bei einem Baukastensystem lassen sich so Fenster- oder Türrahmen basteln.
Kaum eine Stadt Afrikas wächst derzeit schneller als Kinshasa. Von 8 auf schätzungsweise 12 Millionen hat sich die Einwohnerzahl in den vergangenen fünf Jahren erhöht. Und genauso rasant wachsen die Grundstückspreise. Wer im Stadtzentrum rund um den achtspurigen Boulevard eine Bleibe kaufen will, muss mindestens 2.000 Dollar pro Quadratmeter hinlegen, bei Häusern mit Flussblick gut das Doppelte oder Dreifache. Auf der Liste der teuersten Städte der Welt belegt Kinshasa bereits Platz 24. Doch in Sachen Lebensqualität befindet es sich ganz weit unten. Es gibt im Kongo nur zwei Prozent geteerte Straßen, die Stromversorgung ist nach wie vor katastrophal.
Die Stadtverwaltung zählt in ihrem Entwicklungsplan von 2007 ehrgeizige Projekte auf: Müllentsorgung, Zugang zu Wasser und Strom, neue Krankenhäuser und Schulen, Wiederaufbau der Infrastruktur. Immerhin, chinesische Baufirmen haben in den vergangenen Jahren acht Hauptverkehrsstraßen ausgebaut.
Eine Herkulesaufgabe
Entlang dieser Boulevards wachsen gewaltige Bürotürme in die Höhe, Shoppingzentren eröffnen, ein 450-Betten-Krankenhaus ist im Bau. Doch kaum verlässt man die frisch geteerten Straßen von Kongos Megacity, sieht man auf den ersten Blick: Die Stadt auf Vordermann zu bringen, ist eine Herkulesaufgabe. Das Bauprojekt auf dem Kongofluss gilt dabei als ambitioniertestes Projekt. Der Ansatz: Nicht die alte Infrastruktur modernisieren, sondern auf ganz neuem Grund bauen.
Robert Choudury ist der Manager von Hawkwood Properties, einer Firma, die die 24 Millionen Dollar verwaltet, die ein britischer Hedgefonds in die Flussstadt investiert. Der Extennisprofi steht in weißen Turnschuhen und Tennistrikot auf der Baustelle. Hinter ihm speit eine gewaltige Pumpe Sand aus: Im Minutentakt wächst die künstliche Insel. Sechs Meter Sand müssen ins Flussbett gekippt werden, um Land zu gewinnen. Derzeit umfasst die Insel rund 53 Fußballfelder. In fünf Jahren soll sie zehn Mal so groß sein.
„Europäischer Standard“
Entlang der frisch gepflasterten Uferpromenade schlendert Choudury auf das einzige Haus der Insel zu: ein zweistöckiges Apartmentgebäude in Fertigbauweise – sein Vorzeigeobjekt mit Einbauküche, klimatisiertem Wohnzimmer und modernen Badezimmern. „Alles europäischer Standard“, preist der 52-jährige gebürtige Franzose in flüssigem Deutsch und schaltet den Flachbildschirm neben dem Ledersofa an.
Auf kunterbunten Folien erscheinen gläserne Bürotürme für ausländische Firmen wie den Mobilfunkanbieter Vodacom, der Interesse bekundet hat, sich mit 300 Mitarbeitern auf der Insel niederzulassen. An der Uferpromenade plant die Firma Villen im arabischen oder europäischen Stil, mit Palmen und Gartenanlagen.
2.000 Dollar kostet ein Quadratmeter, ein „Schnäppchen“, meint Choudury. „Dieser Teil von Kinshasa soll so werden wie bei uns zu Hause“, sagt der Franzose. „Also eine Mittelklassesiedlung.“ Die Nachfrage sei enorm: Jeden einzelnen aufgeschütteten Quadratmeter hat er bereits verkauft, noch bevor die Insel überhaupt fertig ist.
Die potenziellen Kunden treffen sich mit Choudury in der Pizzeria mit Steinofen an der Uferpromenade. Die Interessenten sind meist Mitarbeiter von internationalen Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Investoren, die im Kongo ein gutes Geschäft machen. Wie der Libanese Nazim Rawji, der seit 17 Jahren mit seinen Lastwagen die Hauptstadt Kinshasa mit allem beliefert, was am 250 Kilometer entfernten Atlantikhafen Matadi ankommt.
Mehrspurige Schnellstraße
Rawji verhandelt gerade über die Lage seiner Wohnung „mit Blick auf den Fluss“. Er wolle auf die Insel ziehen, sobald die von den Chinesen geplante Autobahn von Kinshasas Stadtzentrum zum 25 Kilometer entfernten Flughafen gebaut wird. Die mehrspurige Schnellstraße soll an den beiden Zufahrtsstraßen für die Flussinsel vorbeiführen. „Darüber kann ich dann in wenigen Minuten mein Büro erreichen“, sagt Rawji.
Doch mit dem Ausbau der Flussinsel wird Silvyian Andingas halb zerstörtes Backsteinhaus endgültig weichen müssen. Denn die Zufahrtsstraße dorthin wird ebenfalls verbreitert, so der Plan. Der alte Mann beobachtet jeden Tag, wie Choudurys Kunden in ihren Geländewagen große Augen machen, sobald sie die Einfahrt zur Flussstadt passieren.
„Ich bin vor Gericht gegangen, um das Projekt zu stoppen oder zumindest eine angemessene Entschädigung zu erhalten“, sagt Andinga mit einem Seufzer. Dabei zuckt er mit den Schultern. „Gegen die Megaprojekte der großen Bosse haben wir einfachen Leute doch keine Chance.“ Dabei könne die Flussstadt den schlechten Ruf von Kinshasa deutlich aufbessern, gibt er zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Habeck wirbt um Fachkräfte in Kenia
Gute Jobs, schlechtes Wetter
Gesetzentwurf aus dem Justizministerium
Fußfessel für prügelnde Männer
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style