Kinostart "In einer besseren Welt": Gefährdung im Sommerhaus-Idyll
Susanne Bier sondiert mit "In einer besseren Welt" die Möglichkeit von Vergebung, stellt sich der Frage von Krieg und Frieden und unterwandert Geschlechterklischees.
Den USA liegen die Kriege in Afghanistan und im Irak schwer auf der Seele und noch mehr auf der Tasche - und prompt erhält ein Film den Oskar für den besten fremdsprachigen Film, der radikal für Pazifismus streitet.
Susanne Biers neues Epos "In einer besseren Welt" stellt sich der großen Frage von Krieg und Frieden, Schmerz und Vergebung und bricht sie runter auf den Alltag zweier dänischer Mittelschichtsfamilien, die es richtig machen wollen - und sich dabei unentwegt in Widersprüche verwickeln.
Anton (Mikael Persbrand) mit eindrucksvoll türkisfarbenen Augen im markanten Gesicht ist für Ärzte ohne Grenzen in Afrika im Einsatz, indes seine schöne blonde, blauäugige Frau Marianne (Trine Dyrholm, bekannt aus Lars von Triers "Das Fest") im Kopenhagener Krankenhaus als Ärztin arbeitet und bei den zwei Söhnen die Stellung hält.
Anna liebt ihren Beruf und die Kinder, aber sie kriegt nicht mit, dass ihr Ältester ständig in der Schule verprügelt wird und sich nicht zu wehren weiß. Auch Antons blutiger Alltag im Flüchtlingslager erlaubt ihm nicht, bei seinem 12-Jährigen genau hinzusehen. Da helfen auch die neuen Medien nicht - die auseinandergerissene Familie kommuniziert viel über Skype und per Mail. Es sind kleine Details, die diese eher zeitlose Geschichte überzeugend in der Gegenwart verankern.
In ihrer präpubertären Verwirrung beginnen Elias und sein Freund Christian nach der Schule kleine Bomben zu basteln, die zunehmend an Sprengkraft gewinnen. Die Sache eskaliert und Marianne und Anton, die gerade eine Ehekrise durchmachen, merken endlich, wie gefährdet ihre Jungs in der heilen dänischen Welt zwischen Haus und Sommerhaus sind. Immerhin machen sie sich selbst die Hölle heiß, weil Anton fremdgegangen ist und Marianne keine Lust hat, ihm den Verrat zu verzeihen.
Mit viel Pathos und sehr guten Schauspielern sondiert "In einer besseren Welt", wie und ob man auf Verletzung mit Vergebung reagieren kann. Ohne Rückgriff auf Religion wird das alttestamentarische Motiv "Zahn um Zahn" aus humanistisch-ärztlicher Perspektive heraus neu durchgearbeitet. Dabei muss die Familie ihre friedensstiftenden Sätze selbst finden, für sie gibt es kein historisches Vorbild. Schade, dass die Charaktere über keinerlei Witz verfügen, es hätte ihre Mission erleichtern können.
Strahlender Heroismus
Die Humorlosigkeit, das Fehlen jeder Selbstironie und die Tatsache, dass die international sehr erfolgreiche Regisseurin von "Brothers - Zwischen Brüdern" (2004) oder "After the Wedding" (2006) tatsächlich alles Leid der Welt auf die Schultern ihrer Protagonisten lädt, damit der Heroismus noch greller strahlt, das ist überhaupt das große Manko des Films. Ein bisschen Spaß, ein gelegentliches Augenzwinkern könnte man den zivilen Weltenrettern schon gönnen.
Interessant bleibt aber, wie geschickt die Regisseurin Geschlechterklischees unterläuft. So entschieden die Ikonografie auf den Weltmarkt schielt und keine Rätsel zulässt, so differenziert durchbricht sie global akzeptierte Vorstellungen von Mutter und Vater, Mann und Frau. So darf Anton viel mit den Söhnen schmusen und sensibel sein, ist aber trotzdem klar in seiner Parteinahme für seine Arbeit, und bleibt auch der Mann im Ehebett.
Auch Anna darf Mutter, Karrierefrau und starke Geliebte zugleich sein, darf sich stellenweise unmöglich benehmen - und verliert trotzdem nicht ihren Heldinnenstatus. Das macht die beinharte Humorlosigkeit zwar nicht wett - aber den Film trotzdem sehenswert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin