Kinofilm aus Frankreich: Fee in der Fahrschule

Prinzessin, Wolf und Oger wollen mehr als Märchen und machen Kino. Agnés Jaoui übernimmt die Regie und zaubert in „Unter dem Regenbogen“.

Gleich verliert der Tänzer seinen Schuh: Laura (Agathe Bonitzer) und Sandro (Arthur Dupont) beim Ball. Bild: Film Kino Text

Jede Komödie, die auf sich hält, braucht einen Griesgram. Einen, der die Last der schlechten Laune auf seine Schultern lädt und sie damit gleichsam fortträgt. Kaum ein anderer Schauspieler hat es im Griesgram-Verkörpern zu solcher Meisterschaft gebracht wie Jean-Pierre Bacri. Und nirgendwo kann er das so schön zeigen wie in den Filmen seiner ehemaligen Lebensgefährtin, der Schauspielerin Agnès Jaoui, mit der er zusammen die Drehbücher verfasst, die sie dann als Regisseurin realisiert.

In „Unter dem Regenbogen“ erscheint er in der zweiten Szene, und was mit ungewohnt süßlichen Anklängen begann, wird prompt durch seine saure Miene geerdet. Den Kopf eingezogen, tiefe Ringe unter den Augen, die Schulter angespannt, läuft er an der Seite seiner Exfrau über einen Friedhof.

Sie beklagt sich über ihr Pech im Spiel in letzter Zeit, bevor sie sich gewahr wird, wo sie sich befinden. „Es gibt Schlimmeres“, sagt sie schließlich, wie um abzuwiegeln. „Eben“, erwidert Bacri so knapp und einsilbig, dass sich schwerkraftmäßig sofort alle Miesepetrigkeit an ihn heftet. Es stellt sich heraus, dass sein Vater eben beerdigt wurde, aber Trauer ist nicht der Anlass seines Missmuts, sondern ein viel „niedrigeres“ Gefühl: die Angst, der nächste zu sein. Wer könnte es ihm verdenken.

„Unter dem Regenbogen“. Regie: Agnès Jaoui. Mit Agnès Jaoui, Jean-Pierre Bacri u. a. Frankreich 2013, 112 Min.

Der Oger und die gute Nacht

„Au bout du conte“ heißt der Film im Original, und verweist damit gleich auf ein doppeltes Ende: auf das des Märchens genauso wie auf den gleichklingenden „bout du compte“, den Endeffekt.

Märchenmotive kleiden den Film ein wie Fantasie-Kostüme eine Kindergartenaufführung: verspielt und einfallsreich, oft auch zweckentfremdet und überraschend neu interpretiert. Bacris Figur etwa lässt sich in seiner schlechten Laune als Oger lesen, ein Kinderschreck. Als seine neue Freundin mit ihren zwei Töchtern vorübergehend bei ihm einzieht, ist er nicht nur genervt, er ist hoffnungslos überfordert. Wie macht man das, einem Kind „Gute Nacht“ sagen? Wenn man einer Figur glaubt, dass sie es tatsächlich nicht weiß, dann dem von Bacri gespielten Mann.

Wie in allen ihren Filmen bringen Bacri und Jaoui einen Reigen von Menschen verschiedenen Alters und mit unterschiedlichsten Empfindsamkeiten zusammen, wobei die Zufälligkeit ihrer Begegnungen in „Unter dem Regenbogen“ oft märchenhafte Züge trägt. Etwa wenn an einer Stelle Laura (Agathe Bonitzer) mit rotem Mantel und Mütze bekleidet durch den Wald läuft, sich verirrt und Maxime Wolff (der Sänger Benjamin Biolay) begegnet. Er will sie nicht fressen, aber gewisse Gelüste werden doch geweckt.

Laura mit dem Goldhaar

Wobei der große Charme der Märchenbezüge in „Unter dem Regenbogen“ darin besteht, dass sie nicht im modernen Gewand nachgespielt werden, sondern auf ganz unterschiedliche Weise Spuren hinterlassen. Die schöne Laura mit ihrem langen goldenen Haar, ihrem reichen Vater und einer verdächtig jung aussehenden Mutter ist ganz klar eine Prinzessin, aber aus welchem Märchen, ob Schneewittchen – sie beißt mal in einen roten Apfel – oder die auf der Erbse oder gar Dornröschen, da legt sich der Film nicht fest.

Laura träumt von einem Märchenprinzen, und als sie auf einer Party den Jungkomponisten Sandro (Arthur Dupont) stehen sieht, glaubt sie ihn gefunden zu haben. Sie tanzen, und dann ist es aber Sandro, der überstürzt vor Mitternacht aufbrechen muss, und alles, was Laura von ihm bleibt, ist ein Schuh, den er auf der Treppe verliert.

Aber keine Sorge, Laura geht im Folgenden nicht von Tür zu Tür, um sich die Füße der Männer im passenden Alter zeigen zu lassen. Der Film spielt vielmehr mit seinen buchstäblichen und übertragenen Bedeutungen und nimmt sie dabei selbst nicht allzu ernst. Laura und Sandros Geschichte und wie sie sich in ihr Märchen, Wunsch und Wirklichkeit überkreuzen, bildet den Roten Faden des Films, an den sich weitere große und kleine Begebenheiten anknüpfen.

Eine Regisseurin als Erzieherin

Regisseurin Agnès Jaoui verkörpert die Fee; einerseits ganz buchstäblich im Kostüm als Theatererzieherin in einem Kindergarten, wo sie – was sonst – mit den Kindern Märchen inszeniert. Andererseits ist sie diejenige, die wie mit Zauberhand die Stränge und Personen des Films in ihrer Person verbindet: Prinzessin Laura ist ihre Nichte, „der Wolf“ ihr Nachbar, bei Bacri nimmt sie Fahrstunden, die Töchter von dessen neuer Freundin spielen in ihrem Märchenstück mit.

Gibt es im Märchen Exmänner? Eine der schönsten Miniaturen zeigt Jaouis Figur und ihren Exmann (Laurent Poitrenaux) als typisches Exemplar eines frisch getrennten Paares. Beide wollen gute Freunde bleiben, nicht zuletzt wegen des Kindes.

Sie sind dabei ganz konkret: Zwei Menschen, die noch zusammenpassen, die sich anschauen, weil sie noch wissen, wie es war, im Guten wie im Schlechten, zwischen denen es aber doch vorbei ist. Das märchenhafte Motto am Ende aber passt genau auf sie: „Sie lebten glücklich und irrten sich häufig …“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.