Woran liegt es eigentlich, dass sich zum neuen ST-Film nicht eine Kritik finden lässt, die meine eigene Zwiespältigkeit zu dem Film teilt?
Der Film ist ok. Er ist leider nicht großartig, atemberaubend, brilliant oder genial. Großartig an diesem Film ist lediglich sein Anfang. Die Geburt des kleinen Kirks/der Tod seines Vaters. In dieser Szene wagt der Film! Ein Raumschiff muss in einer spektakulären Schlacht evakuiert werden: In diese bekannte Situation, die der Zuschauer bereits auswendig kennt, bringt der Film ein ungewöhnliches Bild: Eine hochschwangere Frau auf einem Rollstuhl in einem Raumschiff. Sie muss schnell und hektisch von A nach B, durch das explodierende Schiff gebracht werden, weil ihre Wehen bereits einsetzen. Im Grunde ein echter Spaceballs-Moment! Doch durch den unfassbar pathtisch-melodramatischen Grundton und die Ernsthaftigkeit, die der Film in seinem Prolog annimmt, funktioniert diese Szene wunderbar. Das ist Fallhöhe! Dieser ernsthafte melodramatische Grundton hätte das Franchise-Monster vielleicht interessanter gemacht. Denn von da an sumpft der Film in Mittelmäßigkeit. Er wird ein bunter Mix aus bekannt durchschnittlicher Familienunterhaltung und eher langweiligem Fanservice. Alles in allem funktioniert er mal besser und mal schlechter.
Star Trek ist einer dieser durchschnittlicher Hollywood-„Action-Kracher“, der einem unentwegt – bis auf wenige Ausnahmen – zuruft: „Ich bin nur ein Film. Bezahle deinen Eintritt, iss dein Popcorn, unterwerfe dich dem Franchise, aber nimm mich nicht ernst.“ „Und falls du es doch tust, hast du ein Problem!“, scheint er einem mit einem unangenehm eindringlich Unterton noch mitzugeben. Oder wie ist es sonst zu verstehen, dass beinahe kein Kritiker es für nötig hält, wirkliche Kritik zu übern? Damit meine ich nicht die beleidigte Kritik der Puristen, die dieser Version ihres Star Trek nicht zustimmen (siehe telepolis.de), sondern echte Kritik am Film.
Ist das die Kapitulation vor der Vermarktungs-Übermacht Hollywoods? Macht allein die Tatsache, dass der Film die höchsten Einnahmen in der Reihe der Star Trek-Kinofilme an einem Startwochenende gemacht hat (und der erfolgreichste Start eines zweiten Maiwochendes überhaupt ist), dass er als Ware also funktioniert, die Kritk hinfällig? Lähmt kommerzieller Erfolg die Kritik? Da wird nur noch durchgewunken, was das Zeug hält: „State-of-the-art“, „charmantes Entertainment“ etc...
Es ist doch äußerst interessant, wie dieser Film die zahlreichen Probleme, die allein seine Grundidee (Wiederauferstehung der Ur-Crew) bereithält, löst oder eben nicht. Die Zuschauer, die Fans gehen damit deutlich Kreativer um als jede Kritik, die ich bisher gelesen habe. Die Lust, sich den Prinzipien des Franchise zu unterwerfen, nährt sich doch vor allem durch einen bewussten Umgang mit ihm.
Ein Beispiel: Ziel des Films ist es, die Marke Star Trek wiederzubeleben; wieder Herr über ihre Moneypower zu werden. Gute Idee: Wir fangen noch einmal am Anfang an. Dort, wo die Marke ihre popkulturelle Geburt erfahren hat: In der Person James T. Kirk (und seiner Frau, die „Enterprise“). Besonderer Kniff: Die Erzählung wird ermöglicht, durch ein Mittel, das J.J. Abrams dem Star Trek-Universum selbst entleiht: die Erschaffung einer alternativen Timeline. Ein „Kniff“ den viele Kritiker auch erkannt haben. (Stand das etwa im Presseheft?)
Kaum ein Kritiker erwähnt jedoch die Überkonstruiertheit des Plots. Die Motivation des Superschurken Nero ist geradezu lächerlich: Er ist wahnsinnig und will Rache. Deswegen begeht er Genozid (an Vulkan) um einen Genozid (an Romulus) zu verhindern, der jedoch auf diese Weise - eindeutig – nicht verhindert werden kann. (Die Supernova wird so oder so kommen. Auch im Alternativen-Universum. Auch wenn er Vulkan, Spock und die gesamte Sternenflotte auslöscht.) Oder auf ein anderes Beispiel übertragen: Einem Feuerwehrmann (Spock) gelingt es nicht die Frau von Person A (Nero) vor einem Feuer zu retten. Also reist Person A in der Zeit zurück, wartet 25 Jahre darauf die Frau vom Feuerwehrmann umbringen zu können (anstatt das Feuer zu verhindern) und denkt, dies würde seine eigene Frau retten. So doof war Star Trek selten! Das ist nicht State-of-the-art, das ist ein unverzeihlich dämliches Drehbuch, das den Film leider viel schlechter macht, als er hätte sein müssen. Und man muss kein Trekkie, Trekker, Fanboy oder Geek sein, um das zu erkennen. Man muss nur ernstnehmen, womit man sich beschäftigt. Man muss sich den Film nur anschauen. Wenn man zu dem Schluss kommt, dass der Film seinen Antagonisten vernachlässigt, weil er zu sehr damit beschäftigt ist, die Hintergrundgeschichte der Protagonisten zu beschreiben (à siehe Schnitt Online), liegt dann nicht der Schluss nahe, dass das Prinzip des Films, eine Fernsehserie gleichsam nachzubilden, scheitert? Vertragen sich hier einfach die Vorteile seriellen Erzählens nicht mit den Bedingungen eines Kinofilm?
Die Einfallslosigkeit, mit der Kirk, der alte Spock und Scotty zusammengeführt werden, ist geradezu erschreckend: Der junge Spock setzt Kirk auf einem Eisplaneten in der Nähe von Vulkan als Strafe für seinen Ungehorsam aus, auf dem zufällig auch der alte Spock von Nero ausgesetzt wurde und auf dem sich – ebenfalls zufällig – Scotty befindet. Alles in einem Umkreis von 15 vielleicht 20 km. Ich entschuldige mich dafür, dass ich hier so unfair gegen das Kino sein muss, aber dieser Film überstrapaziert die altehrwürdige ‚suspension of disbelief’. Aus den Bedingungen, die der Film selbst schafft kann gar kein großer Kinomoment entstehen, es ist absolut unmöglich!
Was noch hinzu kommt: Viele Aspekte des Films, wie der eben genannte, funktionieren nur durch ihr Verhältnis zu dem, was der Zuschauer bereits von Kirk, Spock & Co. weiß, was also in dem großen Erzählzusammenhang Star Trek bereits etabliert ist. Ein Beispiel hierfür ist die behauptete Liebesbeziehung zwischen Spock und Uhura. Für den Fan überraschend, für den Film selbst unmotiviert und belanglos. Dadurch kommt Abrams „überraschend neuer, frischer“ Ansatz wie eine Mogelpackung daher. Wie soll das eine neue Generation von Start Trek-Fans heranzüchten, was ja nun mal eine Hauptaufgabe diese Films ist, wenn er keine originäre Kinomagie entwickelt?
In höchstem Grade ätzend ist das Finale. Die Hinrichtung des Schurkens Nero. Endlich, nach vierzig Jahren moralischem Diskurs und friedliebender Utopie, darf Star Trek rachsüchtig, zynisch und dumm sein. Das ist keine „Entstaubung“, das ist tatsächlich neu.
Letztlich ist Star Trek trotz allem kein schlechtes Hollywood-Kino, aber ich hätte gerne mehr Gedanken zu einigen dieser Punkte in der deutschen Kinokritik gelesen.
Wieso sich nicht ein Rezensent (man möge mich eines Besseren belehren) diesen oder ähnlichen Fragen gestellt hat, ist mir ein Rätsel. Ich halte meine Gedanken nicht für besonders originell. Ich sehe das eher als Grundlagenarbeit, um zu einem Austausch über den Film und eventuell zu einem Urteil zu kommen. Entweder man nimmt Film ernst oder man hört auf, darüber zu schreiben.
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