Kino, Werbung, Levi's, Gummo etc.: Strahlende Illusionslosigkeit
■ Nicht mehr Sex, sondern Desaster: Die neuen Werbespots von Levi's laufen heute im Kino an
Den Intelligenztest besteht der Kurze nicht, der in das Beobachtungszimmer hereinmarschiert und sich vor das Testspielzeug setzt. Den Preis für das rabiateste Durchsetzungsvermögen hätte er freilich verdient. Die Aufgabe ist, runde, sternförmige, drei- oder viereckige Formen in die entsprechenden Aussparungen eines Brettes einzusetzen. Der Kurze nimmt also einen Holzklotz mit quadratischem Boden, steckt ihn in die wenig passende kreisrunde Aussparung, nimmt den Holzhammer und haut, was das Zeug hält, drauf. Irgendwann steckt der Klotz im Loch fest, das Brett ist ruiniert, und der Knirps geht zufrieden davon. Und was passiert dann?
Ja, dann kommt das Markenzeichen „Levi's Original“. Die Szene vom Mann im Kind, der draufhauen muß, hat die englische Agentur BBH – die Kürzel stehen für die Anfangsbuchstaben der Gründer Bartle, Bogel und Hegarty – entwickelt. Sie gehört zu einer Serie von vier Werbespots, die ab heute im Kino anlaufen. Und so beobachten wir wieder einmal die Geburt des Zeitgeists aus dem Gehirnsturm des Kreativteams. Dessen Kopf John Hegarty hatte zwar einstmals behauptet: „Wenn die Welt hü sagt, mußt du hott sagen.“ Doch ihren größten Hit für Levi's fuhr die Agentur mit Werbespots ein, die so kontrovers nun wirklich nicht waren. Wir erinnern uns: Da zogen schöne Männer im Waschsalon ihre Jeans aus, und ein anderes Mal sah ihnen Tatjana Patitz – Schweißperlen auf der Stirn – zu, wie sie die gleichen Hosen aus dem Eisschrank holten. Als Soundtrack recycelt man Pop-Oldies aus den Sechzigern. Damals konnte Levi's seinen Umsatz um rund 530 Prozent steigern.
Jetzt fährt ein junger, doch nicht ganz so hübscher Mann mit Goatie und übergestülpter Kapuze eines grauen Sweatshirts die Rolltreppe eines Einkaufszentrums hoch, läuft den Gang entlang, und plötzlich sieht man, daß der gute Mann keine Levi's, sondern nackten Hintern und nackte Beine trägt. Oder der Hamster Kevin rennt in seinem Rad, bis es endlich zerbricht und Kevin frei ist. Danach weiß er logischerweise nichts mit seiner Zeit anzufangen und stirbt: eine neue Art strahlende Illusionslosigkeit? Die Geburt der Tragödie aus dem Sound, der Musik macht?
Wenn „Gummo“, der Debütfilm von Harmony Korine, der das Buch zu Larry Clarks „Kids“ schrieb, erst im Kino anläuft, dann wird man den Stil der Levi's- Spots wiedererkennen. Nur kommt er bei Korine noch ein bißchen steiler – wenn auch mit dem identischen Heavy Metal. Im Anschluß an die Szene, in der die Mutter ihrem Sohn die Pistole an den Kopf hält, damit der Kerl endlich mal lacht, könnte ohne weiteres „Levi's Original“ folgen. Und das muß nicht unbedingt gegen „Gummo“ sprechen. Weil es durchaus für den Riecher von BBH sprechen könnte, daß sie die perverse White-trash-Atmosphäre des Films anzapfen.
In (Wahlkampf-)Zeiten, in denen vor allem die sogenannten fortschrittlichen Kräfte Politik nur noch als Katalog aller möglichen Verbote annoncieren – weil sie ja um die gut begründete Richtigkeit ihrer Regeln eines gesellschaftlich akzeptablen Konsums (handle es sich um Sexfilme, Flugreisen oder was auch immer) wissen – mag der blöde Kurze, der seinen eigenen Stiefel macht, an Charme gewinnen. Und Levi's seinen Umsatz um wieviel Prozent steigern? Bei wieviel Prozent werden die Grünen enden?
BW
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