: Kinkel wirbt mit Konfuzius für Li Peng
■ Der Bundesaußenminister führt die Menschenrechtspolitik Chinas auf den chinesischen Philosophen zurück und will weitere Belastungen im Verhältnis zu Peking vermeiden. Merkel und Töpfer sagen Besuche in Peking ab
Bonn (taz) – Nach der Absage seines für Juli geplanten Besuches in China stellte Bundesaußenminister Klaus Kinkel gestern eine neue Menschenrechtslehre vor: die konfuzianische. Die westlichen Staaten mit ihrem „abendländischen Menschenrechtsverständnis“ müßten sich „ein klein wenig in die Notwendigkeiten des asiatischen Kulturkreises“ mit seinem „konfuzianischen Menschenrechtsverständnis“ hineinfühlen, sagte der Metzinger (Kreis Reutlingen) Schüler des großen chinesischen Philosophen Konfuzius (551 bis 479 v. Chr.). In China mit seinen 1,2 Milliarden Einwohnern bedeute die Verwirklichung der Menschenrechte in diesem Sinne zunächst einmal, all seinen Bewohnern genügend Nahrung zu bieten.
Kinkel warb mit diesen einfühlsamen Worten um Schadensbegrenzung, nachdem sich die chinesische Regierung durch die vom Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen verabschiedete Tibet-Resolution brüskiert gefühlt und Kinkel ausgeladen hatte.
Ganz im Geiste des Konfuzianismus, demzufolge Menschlichkeit als höchstes Gut in den fünf Tugenden der gegenseitigen Liebe, Rechtschaffenheit, Weisheit, Sittlichkeit und Aufrichtigkeit verwirklicht ist, forderte Kinkel dazu auf, das gespannte Verhältnis, das immer noch „gut“ sei, nicht „ernsthaft zu gefährden“. Er warnte davor, die Beziehungen aus „innenpolitischer Profilierung“ weiter zu belasten. Als aufrichtiger Konfuzianer verschwieg Kinkel aber nicht, daß er die Resolution des Bundestages „voll“ mitgetragen habe, auch wenn er in die Vorarbeiten nicht einbezogen gewesen sei. „Ton und Inhalt der Resolution ist etwas, was die Chinesen verkraften müssen“, meinte er. „Wir lassen uns weder in Menschenrechts- noch in anderen Fragen den Mund verbieten“, so Kinkel, der zugleich mahnte, Kritik „in angemessener Form“ vorzutragen: „China hat sein Sensibilitätssensorium in der Tibet-Frage sehr hoch gezogen.“
Dem pflichtete auch der weniger als Konfuzianer bekannt gewordene Bundeskanzler gestern vollständig zu. Die von Außenminister Kinkel vertretene Linie zu China entspreche „voll und ganz“ der Politik Bonns und damit auch seiner eigenen Haltung, erklärte Helmut Kohl und demonstrierte auf diese Weise die nachkonfuzianische Tugend der Solidarität.
Keine Antwort hatte Bundesaußenminister Klaus Kinkel darauf, was Konfuzius dazu gesagt hätte, daß die Bundesregierung Bundesbauminister Klaus Töpfer in der kommenden Woche nicht nach China reisen lassen will. Auch Bundesumweltministerin Merkel sagte gestern ihre für Ende Oktober/Anfang November geplante China-Reise ab, und Verteidigungsminister Rühe stoppte ein geplantes deutsch-chinesisches Offizierstreffen in Koblenz. Ebenso annullierte er deutsch-chinesische Generalstabsgespräche in Peking. Und kündet es etwa von gegenseitiger Liebe, daß der für den Herbst geplante Chinabesuch von Bundespräsident Roman Herzog wenig wahrscheinlich geworden ist? Konfuzius, der Zeit seines Lebens auf großer Wanderschaft war, hätte dafür sicherlich wenig Verständnis gehabt.
Wohl auch für Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP), der gar nicht im Sinne von christlicher Nächstenliebe und schon gar nicht im konfuzianischen Sinne die internationale Staatengemeinschaft dazu auffordert, China zu isolieren. So rief er gestern die Parlamente der westlichen Welt dazu auf, nach dem Beispiel des Bundestages die Tibetpolitik Chinas zu verurteilen. Wenn alle westlichen Parlamente ähnlich handelten, sagte Hirsch in typisch abendländischer Verblendung, werde die kommunistische Führung Chinas möglicherweise einlenken müssen. Wer auf Menschenrechte poche, so Hirsch, müsse auch hinnehmen, daß das wirtschaftliche Folgen haben könne. Wie sagt doch eine alte chinesische, möglicherweise konfuzianische Weisheit: Hochmut kommt vor den Fall. Markus Franz Bericht auf Seite 4
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen