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Kinderparadies für Stunden

■ Eine Hamburger Mütter-Initiative betreut seit Jahrzehnten Kleinkinder auf 37 Spielplätzen für 1,20 Mark pro Stunde Von Kaija Kutter

Kita-Plätze sind begehrt. Die ausreichende Versorgung liegt nicht nur im Interesse von Müttern, die nach beruflicher Selbstverwirklichung streben. Auch für Kinder ist es wichtig, unter ihresgleichen zu kommen, ist die rund-um-die-Uhr-Betreuung durch Mama auf Dauer langweilig. Dennoch mögen manche Eltern ihre Kleinen nur an manchen Tagen und nur stundenweise weggeben. Für sie gibt es in Hamburg eine Alternative.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich eine Selbsthilfe-Initiative von Müttern aus den 50er Jahren bis heute erhalten. Unter dem etwas altbackenen Namen „Aktion Kinderparadies“ betreut der Verein auf mittlerweile 37 Spielplätzen in allen sieben Hamburger Bezirken Kleinkinder im Alter von anderthalb bis sechs Jahren. Das Besondere: Es handelt sich um eine „Laienbetreuung“, die ehrenamtlich engagierten Frauen erhalten lediglich eine „Aufwandsentschädigung“ von 1,20 Mark pro Stunde und Kind.

Auf dem Platz an der Lisztstraße in Ottensen sammelt sich da an manchen Tagen ein bißchen was an. 30, 40 Kinder kommen zu Helga Schäfer, die mit Unterstützung von ein oder zwei Helferinnen seit 30 Jahren diesen Platz nahe des Altonaer Kinderkrankenhauses betreut. Sie ist im Stadtteil eine Institution, bei Kindern und Eltern gleichermaßen bekannt. Im Winter – auch dann ist der Platz geöffnet – bringt sie „ihren“ Kindern jeden Tag fünf bis sechs Thermoskannen voller Tee mit. „Frühstück“, erinnert sie mit ihrer brummigen, aber liebevollen Stimme die ihr anvertrauten Kids. Denn bis 11 Uhr muß die Mahlzeit eingenommen sein. Danach setzten sich alle im Singkreis zusammen, dem einzigen festen Programmpunkt in der von 9 bis 13 Uhr währenden Spielzeit.

Die Mütter – oder Väter – können ihre Kinder in dieser Zeit bringen und holen, wann sie wollen. „Das ,Kinderparadies' ist ein Angebot für Eltern, sich zeitweilig von ihren Kindern zu trennen“, erklärt die Diplompädagogin Dagmar Behrens, die als einzig festangestellte Kraft des Vereins die Arbeit pädagogisch beaufsichtigt. „Probleme“, so beteuert sie, gebe es sehr selten. Manchmal mit Müttern, die ihre Kinder nicht loslassen können und nicht weggehen, so daß die Kleinen befangen sind. Denn nach einer kurzen Eingewöhnungszeit würden die Kinder bei diesem zwanglosen Zusammensein sehr schnell soziales Verhalten lernen. Am besten, so Behrens, wären die Spielplätze als Vorbereitung auf den Kindergarten geeignet – sprich für Anderthalb- bis Dreijährige, für die es sonst als Alternative nur den schwer zu ergatternden Krippenplatz gibt.

Doch auch an der Lisztstraße ist es voll. Helga Schäfer hat eine Warteliste, „drei Din-A4-Seiten lang“, erwähnt sie nicht ohne Stolz. Um Kapazität zu schaffen, wird ein Kind, das sechs Wochen fehlt, von der Teilnehmerliste gestrichen. Andere Spielplätze hingegen sind weniger stark belegt. „Nachfragen lohnt sich auf jeden Fall“, sagt Dagmar Behrens. Neben Müttern oder Vätern, die Zeit haben, sich zu engagieren, braucht der Verein auch noch mehr Mitglieder. Denn Spielgeräte und andere Sachkosten werden überwiegend durch Beiträge und Spenden finanziert.

Als „Lückenbüßer“ zur Erfüllung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz läßt sich „Kinderparadies“ nicht mißbrauchen. Sie sei von der Behörde gefragt worden, ob sie die Aktion auf andere Spielplätze ausweiten könne, berichtet Dagmar Behrens. Doch dies sei allein organisatorisch nicht machbar.

Auch ist das Konzept sozialpolitisch ein wenig bedenklich, weil die Mitarbeiterinnen keine soziale Absicherung haben. Dort, wo die Arbeit gut läuft, machen Frauen wie Helga Schäfer sie über Jahre und Jahrzehnte. Im Alter bleibt ihnen davon außer schönen Erinnerungen nicht viel.

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