Kinderbücher zum Vorlesen: Vorlesemuffliger Papa, adé!
Väter lesen weniger vor als Mütter, so eine neue Studie der Stiftung Lesen. Damit sich das ändert, gibt es jetzt Vätermonate - und Lesebücher speziell für Lesefaule,
Die jüngste Studie der Stiftung Lesen fragte vorlesemufflige Papas, warum sie ihren Kindern nicht vorlesen. "Die Mutti kann's besser, und außerdem habe ich keine Zeit für so was", so lässt sich die Ausrede der Väter zusammenfassen. Wir meinen, auch Väter brauchen Material - deshalb stellen wir Kinderbücher vor, die auch vorleseresistente Herren an die Bettkanten ihrer Kinder lockt.
Für Roboter-Liebhaber
Väter, die auf Technik stehen, werden ihren Spaß an Akkuratus und seinen Welterkundungen haben. Mit seiner neuen Bilderbuch-Reihe "Akkuratus(2)" legt der Klett Kinderbuch Verlag eine von zwei jungen Vätern geschriebene und gezeichnete Bildgeschichte vor, die witzig und klug zugleich ist.
Akkuratus ist klein, neugierig und ein Roboter. Jeden Tag fliegt er mit seiner roten Rakete zur Erde und entdeckt erstaunliche Dinge. So findet er zum Beispiel ein Haufen Bauklötzchen, deren Funktion ihm unbekannt ist. Deshalb probiert er aus: Sind die essbar? Egal in welcher Farbe, keines der Dinger lässt sich zerbeißen. Kann man mit ihnen sprechen? Nein, sie antworten weder auf "Karak" noch auf "Kuruk". Wozu sollen diese Teile nur gut sein? Als Akkuratus sie wegtritt, passiert es: Zwei Klötzchen liegen übereinander. Als der kleine Entdecker noch ein drittes draufsetzt, wird ihm klar: Mit diesen bunten Teilen kann man Formen wie Häuser oder Brücken oder einen kleinen Roboter nachbauen. Toll! Da fliegt ein roter Luftballon vorbei und ein neues Abenteuer beginnt …
Je zwei Geschichten sind in jedem der querformatigen, kleinen Bilderbücher enthalten. Bisher erschienen sind "Bauklotz und Luftballon" sowie "Schaukel und Schnuller". Die kurzen, bunten Geschichten werden Bild für Bild mit je ein bis zwei kurzen Sätzen erzählt, sind aber dank Ulf K.s klarer Formen- und Bildsprache auch ohne Text zu verstehen. Mit Akkuratus ist den Schöpfern eine Figur gelungen, die Zweijährigen eine große Identifikationsfläche und zugleich genügend Anlass zum Lachen bietet, denn wer beißt schon auf Bauklötzchen oder spricht mit ihnen? Als Zweijähriger ist man ja schließlich kein Baby mehr.
Martin Baltscheit: "Akkuratus(2) - Bauklotz und Luftballon". Bilder: Ulf K. Klett Kinderbuch, Leipzig 2010, 32 Seiten, 9,90 €. Ab 2
Für Eisenbahn-Freaks
Es heißt, es wären die Väter, die ihren Söhnen Modelleisenbahnen schenken, um selber damit zu spielen. Chris Wormell hat die Faszination an Eisenbahn-Welten mit einer ulkigen Tiergeschichte verknüpft und ein sehr amüsantes Pappbilderbuch geschaffen: "Drei dicke Freunde".
Gleich das erste Panoramabild zeigt eine merkwürdige Landschaft am Meer: Neben einem Tannenwald wächst ein Dschungel mit Palmen. Auf den Gleisen, die sich in weiten Kurven bis zu einem Städtchen am Horizont ziehen, verkehrt ein bunter Holzzug. An jeder Station zwängt sich ein dickes Tier in einen der drei offenen Wagons: Frau Walross, Herr Bär und Frau Elefant. Alle wollen in die Stadt zum Einkaufen. Dem Lokführer ist die Körperfülle seiner Fahrgäste nicht ganz geheuer. Und dann bringen sie vom Einkaufen auch noch volle Tüten mit sechshundert Sardinen mit, vier weiße, fünf lange und sechs dunkle Brote, fünf Gläser Honig und bergeweise Obst. Trotz der Zweifel des Lokführers werden die Einkäufe untergebracht. Alles geht gut - bis eine Biene in Frau Elefants Rüssel fliegt. Ein gewaltiges Niesen schüttelt Lebensmittel und Fahrgäste durcheinander; der Zug entgleist. Was nun? Erst mal picknicken, finden die gemütlichen Freunde. Alle schlemmen, nur der Lokführer kann sich nicht recht entspannen: Er befürchtet, dass sämtliche Picknickgäste in seiner armen kleinen Eisenbahn mitfahren wollen.
In Bild und Text kontrastiert Wormell die Befürchtungen des Lokführers auf ulkige Weise mit den Ereignissen der Zugfahrt. Dem entsetzten oder verblüfften Gesichtsausdruck des blauuniformierten Lokführers stehen dabei die sorglosen Tiere massig gegenüber. Obwohl einfach und kindlich, in hellen Farben gezeichnet, wirken Wormells Bilder nie kitschig - zu meisterlich ist sein Kreidestrich, der den Tieren eine voluminöse Körperlichkeit verleiht, zu durchdacht auch die Bildkomposition.
Die witzige Geschichte bietet viele Anlässe, um mit Kindern auf Entdeckungsreise zu gehen: Entlang der Eisenbahnstrecke lassen sich die Landschaft und halb versteckte Tiere beobachten, die dezent in die Geschichte eingeflochtenen Zahlen laden zum Nachzählen ein, und zwischen all den umherfliegenden Lebensmitteln ist es eine Herausforderung, der Biene auf der Spur zu bleiben. Nicht zuletzt macht das Buch Lust, eigene Welten und Eisenbahnabenteuer zu erfinden.
Chris Wormell: "Drei dicke Freunde". Aus dem Englischen von Felix Buchinger. Moritz Verlag, Frankfurt a. M. 2010, 32 Seiten. 8,95 €. Ab 3
Verrückte Häuser
Gerade eben ist das Sachbuch "Achtung, fertig, Baustelle!" auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2010 gelandet. Dagegen wirkt das neu erschienene Sachbuch "Treppe, Fenster, Klo" aus dem Moritz Verlag wie ein bunter Vogel, der dem biederen Nominierungstitel frech-fröhlich ins Gesicht lacht: Häuser können kreativ und abenteuerlich sein!
Die Grafikdesigner Aleksandra Machowiak und Daniel Mizielinski haben auf der ganzen Welt 35 Häuser ausgesucht, die mit ihrem Einfallsreichtum erstaunen. So etwa das Ufo-Haus des Finnen Matti Suuronen, das aussieht, wie man sich 1968 ein UFO vorstellte: eine runde Kunststoffkapsel mit ovalen Fenstern, die auf dünnen Metallbeinen ruht. Eine Kugel ist dagegen das Haselnuss-Haus. Es steht in Kanada und ist ganz aus Holz konstruiert. Der Architekt Tom Chudleigh hat diese Wohnkugel an Seilen mitten in den Wald gehängt. Masaki Endoch und Masahiro Ikeda haben ein Eihaus gebaut, dass mitten in Tokio steht und zwei Wohnungen beinhaltet. Dass solche Häuser nicht nur die Lust am Exotischen der Reichen bedienen, wird deutlich, wenn man sich das Sandhaus des iranischen Architekten Nader Khalili oder das Haus für Obdachlose betrachtet, das der Pole Krzysztof Wodiczko entdeckt hat.
Die mit plakativen Farben gefüllten Illustrationen wirken lebhaft und verzichten wohltuend auf allzu große Akkuratesse. Jedem Haus sind zwischen zwei und vier Seiten gewidmet, wobei stets das Land gezeigt wird, in dem das Haus steht (oder hängt), die verwendeten Baustoffe und das Baujahr angegeben sind.
Aleksandra Machowiak; Daniel Mizielinski: "Treppe, Fenster, Klo. Die ungewöhnlichsten Häuser der Welt". Aus dem Polnischen von Dorota Stroinska. Moritz Verlag, Frankfurt a. M. 2010, 156 Seiten, 18 €. Ab 7
Im wilden Western-Wald
Eine spannende Fabel im Westernkleid, da kommen Väter, die Filmmotive, und Söhne, die ihre Nöte wiedererkennen, auf ihre Kosten. "Als Häschen den Sheriff erschoss" ist ein spannender Kinderroman, der ganz Abenteuerroman ist und trotzdem moralische Fragen aufwirft. Dazu sind die Figuren, auf die es ankommt, männlich.
Eigentlich war es ein Unfall, aber Häschen fühlt sich schuldig: "Ich habe den Sheriff erschossen", bekennt er vor allen Tieren des Großen Waldes. Der Jubel ist groß, denn den Menschen mit dem Gewehr fürchtete jeder. Doch die Stimmung schlägt um, als klar wird, dass der Sheriff nur verwundet wurde. Er wird Rache nehmen, sind sich die Tiere sicher und sie einigen sich schnell: Zur allgemeinen Sicherheit sollte man Häschen dem Sheriff ausliefern. Da verkündet Matze Bär, dass er in seinem Herzen nicht mehr froh werden könnte, wenn er nicht alles dafür gäbe, Häschens Leben zu retten. Von seinen Worten beeindruckt, schleichen die Tierkinder heimlich nachts zu Matze. Sie wollen dem Bären helfen, den Wald für den Ernstfall vorzubereiten, denn ihr Vertrauen zu den Eltern ist gebrochen.
In ihrer mit Westernmotiven gespickten Parabel findet Andrea Hensgen eine Form, moralische Fragen zu verhandeln, ohne bitterernst zu werden. Sie versteht es, die Tierfiguren glaubhaft zu gestalten, so dass man Häschen und den Tierkindern gerne nachts durch den Dunklen Wald bis zur Bärenhöhle folgt. Und Matze Bär ist ganz der "Pädagoge" den man sich wünschen würde: Er nimmt alle Kinder, selbst die jüngsten ernst, lässt sie selbständig lernen und sich erproben, ist aber im richtigen Moment - etwa wenn der böse Fuchs kommt - immer zur Stelle.
Für jedes der fünfzehn Kapitel hat Aljoscha Blau eine Schwarz-Weiß-Illustration gezeichnet und das nostalgisierende Cover in Gelb und Blau gestaltet. Er zeichnet die Tiere ganz naturalistisch, doch verpasst ihnen eine menschliche Mimik und Gestik, die Bände spricht. Eine rührende und unterhaltsame Geschichte über Mut, Freundschaft und Verantwortlichkeit.
Andrea Hensgen: "Als Häschen den Sheriff erschoss". Bilder: Aljoscha Blau. Jacoby & Stuart, Berlin 2009, 150 Seiten. 12,90 €. Ab 9
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?