: Kinder, Küche und PC
Die Postgewerkschaft schließt den ersten Tarifvertrag zur Telearbeit ab. Am besten arbeitet's sich im Wechsel: mal zu Hause, mal im Betrieb ■ Aus Berlin Barbara Dribbusch
Jeder kennt die süßen Werbefotos für Heimarbeit am PC: Vater oder Mutter schwitzen am Computer, während der Nachwuchs gefährlich nahe der Tastatur über den Schreibtisch krabbelt. So idyllisch geht's zwar kaum zu bei der Telearbeit. Doch sie gilt als Job der Zukunft. Die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) hat jetzt erstmalig einen Tarifvertrag abgeschlossen, in dem die Arbeitsbedingungen für „alternierende Telearbeit“ der Beschäftigten bei der Deutschen Telekom festgeschrieben werden.
Der Tarifvertrag ist die Basis für die Ausweitung der Telearbeit in dem Konzern mit 210.000 Beschäftigten. Bisher säßen dort nämlich höchstens ein paar Dutzend MitarbeiterInnen zu Hause am PC, so ein Unternehmenssprecher. Das Vertragswerk sichert den HeimwerkerInnen vergleichsweise paradiesische Bedingungen zu. Die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wählen den Telejob freiwillig und arbeiten zwischendurch immer mal wieder im Betrieb. Falls es zu Hause nicht klappt, „können sie jederzeit wieder ihren Arbeitsplatz ganz in das Unternehmen verlegen“, so DPG-Sprecher Rudi Vetter. Für die berufliche Nutzung der Wohnung bekommen sie einen Bonus.
Die meisten EDV-HeimwerkerInnen in Deutschland sind nicht so gut abgesichert wie die KollegInnen von der Telekom. Nach einer Studie im Auftrag der EU-Kommission schuften in Deutschland rund 150.000 Erwerbstätige zu Hause am PC. Gewerkschafter vermuten, daß viele dieser EDV-HeimwerkerInnen schlichtweg „Selbständige“ sind, die Auftragsarbeiten für Firmen erledigen. Diese „TelearbeiterInnen“ sind tarifrechtlich nicht abgesichert, und viele sind auch nicht online mit dem Unternehmen verbunden. Die Zahl der „echten TelearbeiterInnen“ mit sozialer Absicherung und Datenverbindung wird vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) auf nur rund 3.000 geschätzt.
„Die technische Entwicklung könnte die Tendenz zur Selbständigkeit ohne jede Absicherung unterstützen“, befürchtet Christine Meyer, Technikexpertin bei der Gewerkschaft HBV. Nach ihren Erfahrungen verbergen sich hinter den Computer-Heimjobs beispielsweise traditionelle Außendiensttätigkeiten in der Versicherungsbranche, die von den selbständigen Vertretern halt jetzt mit Hilfe der EDV abgewickelt werden. Schulbuchverlage sandten schon vor Jahren MitarbeiterInnen nach Hause – den PC gab's geschenkt – und ließen sie fürderhin als Selbständige für sich ackern.
Besonders der Versandhandel steigt auf Hilfskräfte um, die von zu Hause aus Bestellungen aufnehmen und per Computer an die Firma übermitteln. Meyer berichtet von einem Unternehmen, das in Oberfranken mehrere TelearbeiterInnen in sogenannten „Telebüros“ zusammengefaßt hat. „Das sind oft Frauen in 580-Mark-Jobs.“ Dennoch gehe der Trend bei den Telejobs zu „qualifizierten Tätigkeiten“, so Meyer. „Den Trend werden wir auch nicht aufhalten.“
Jeder zehnte Arbeitsplatz könnte mittelfristig aus den Firmen in Privatwohnungen oder wohnungsnahe Gemeinschaftsbüros verlagert werden, schätzten unlängst der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) und der Zentralverband Elektrotechnik und Elektroindustrie (ZVEI). Graphiker entwerfen heute schon zu Hause Schaubilder, Werbefachleute entwickeln Kampagnen für ihre Arbeit- oder Auftraggeber.
Laut einer Studie im Auftrag des Computerherstellers IBM ist die Mehrzahl der dort beschäftigten TelearbeiterInnen zufrieden mit der Arbeit am heimischen PC. Die meisten gaben sogar an, zu Hause effizienter arbeiten zu können als im Unternehmen. Da die Telearbeit Anfahrtswege spart, verringert sie zudem Verkehrsstaus.
GewerkschafterInnen befürworten vor allem die freiwillige „alternierende Telearbeit“: mal zu Hause, mal im Betrieb. „Um Isolation zu verhindern, sollten die Beschäftigten bei Bedarf auch mal wieder in der Firma sein können“, so Meyer. Im Tübinger Software- Unternehmen Integrata etwa versammeln sich die TelearbeiterInnen immer am Freitag zum „Bürotag“ in der Firma.
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