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Kiminologe Johannes Feest im taz-Gespräch"Die Strafen werden nach oben offen"

In Hamburg hat sich die Zahl der Häftlinge in Sicherungsverwahrung in zehn Jahren verdreifacht. Damit ist der Stadtstaat bundesweit Spitzenreiter. Der Bremer Kriminologe Johannes Feest über die Folgen der Sicherheitshysterie.

Dieser Blick bleibt den Sicherheitsverwahrten auch dann erhalten, wenn sie ihre Strafe abgesessen haben. Bild: dpa

taz: Herr Feest, warum ist die Zahl der Häftlinge in Sicherungsverwahrung gerade in Hamburg so gestiegen?

Bild: privat

JOHANNES FEEST, 68, ist Kriminalwissenschaftler. Bis 2005 lehrte er als Professor für Strafverfolgung, -vollzug und Strafrecht an der Uni Bremen.

Johannes Feest: Die Zahlen sind in allen Bundesländern gestiegen - aber Hamburg ist deswegen speziell, weil es schon vor zehn Jahren sowohl relativ als auch absolut an der Spitze lag. Die Frage ist im Grunde ein Forschungsproblem, bei dem man sich genau ansehen müsste, warum in Hamburg 22 Häftlinge in Sicherungsverwahrung einsitzen und in Schleswig-Holstein 15. Aber ich habe zumindest Hypothesen.

Die da wären?

Es kann sein, dass es ein Stadtstaatenphänomen ist - dafür spricht auch, dass die Zahl in Berlin auch relativ hoch liegt. Die Erklärung wäre dann, dass in einer Stadt mit einer oder mehreren großen Strafanstalten mehr Voraussetzungen für die Verhängung von Sicherungsverwahrung produziert werden.

Wie das?

Der alte Paragraf, der ja nur ergänzt wurde, macht ja Voraussetzungen: Man musste vorher schon zu einer gewissen Straflänge verurteilt worden sein, et cetera. Und das sammelt sich dann natürlich in manchen Großstädten, wo auch große Strafanstalten sind. Die andere Hypothese - die mir bei Hamburg natürlich einfallen musste - ist, dass es nach wie vor relativ kleine Zahlen sind. Deshalb reicht ein Richter Gnadenlos, um die zwei, drei Sicherungsverwahrungen zu verhängen, die diesen Unterschied ausmachen.

Wobei Sie selbst einmal die These vertreten haben, dass gerade in Hamburg die Richter in Reaktion auf den populistischen Justizsenator Kusch eher milde Urteile gefällt hätten.

Das war eine Lieblingsthese von mir und sie steht auch noch - das Absinken der Strafgefangenen-Zahlen in Hamburg ist anders tatsächlich schwer zu erklären. Ich rede ja von den Hamburger Strafrichtern, die unter Umständen sagen: In diese Anstalten kann man keine Leute mehr schicken. Das schließt aber nicht aus, dass ein Richter Gnadenlos sagt: Einzelne müssen für immer weggesperrt werden.

Und die dritte Hypothese?

Die dritte, eigentlich interessanteste, ist die, dass Hamburg sehr stolz darauf war, dass alle Sicherungsverwahrten über den offenen Vollzug beziehungsweise die Sozialtherapie entlassen wurden. Das heißt, dass man die Leute, wenn sie bereits in Sicherungsverwahrung waren, nicht einfach darin gelassen, sondern versucht hat, etwas mit ihnen anzufangen. Inzwischen hat Hamburg kaum noch offenen Vollzug und auch keine ernsthafte Sozialtherapie mehr. Sicherheitsverwahrte haben vermutlich kaum noch eine Chance, auf diesem Wege auf die Entlassung vorbereitet zu werden.

Ist der Anstieg der Sicherungsverwahrung ein sinnvolles Ausschöpfen eines rechtlichen Instruments oder ist er Ausdruck einer Sicherheitshysterie?

Ich bin sicher, dass es Letzteres ist. Was nicht heißt, dass es nicht Fälle gäbe, wo ein Einzelner länger festgehalten werden müsste. Aber der Trend, der seit 1998 entstanden ist, hat nichts damit zu tun, dass man die Sachen genauer untersucht hätte, sondern damit, dass die Medien und die Politik sagten, dass man Angst haben müsse und dass die Sicherungsverwahrung das probate Mittel dagegen sei. Das Interessante ist, dass es in einem Punkt sogar über das hinausgeht, was die Nazis taten. Die haben zwar viel mehr Sicherungsverwahrungen verhängt, 6.000 bis 8.000, davon sind wir glücklicherweise meilenweit entfernt. Aber sie haben es nicht für nötig befunden, eine nachträgliche Sicherungsverwahrung einzuführen. Das ist erst im Jahre 2004 erfolgt.

Wobei es bislang keinen Fall gibt, wo sie angeordnet wurde.

Das ist schwierig zu überblicken. Aber es sind in der Tat sehr sehr wenige Fälle. Von daher haben wir es einerseits mit symbolischer Politik zu tun und andererseits auch wieder nicht: Es sind im Vollzug sehr viel mehr Leute betroffen, nach einer Schätzung von Thomas Ullenbruch, Richter und ehemaligem Vollzugsleiter, sind es ungefähr 7.000 Gefangene, welche die formalen Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung erfüllen. Es gibt in allen Bundesländern eine Weisung, dass sie beim Antritt der Haftstrafe von der Staatsanwaltschaft gemeldet und von den Vollzugsbeamten besonders beobachtet werden müssen. Das führt am Ende möglicherweise gar nicht dazu, dass sie nachträgliche Sicherungsverwahrung kriegen, aber es führt zu großen Veränderungen im Strafvollzug.

Bedeutet das nicht auch eine aufmerksamere Begleitung der Gefangenen?

Natürlich gehört es zum Anspruch des deutschen Strafvollzugs, dass mit den Gefangenen von Anfang an gearbeitet wird - aber im Hinblick auf ihre Entlassung. Die Bediensteten bekommen nun eine völlig neue Aufgabe: Bislang waren sie bereits im Konflikt zwischen ihrer Rolle als Betreuer und Schließer, nun sollen sie auch noch als Profiler agieren. Und den Gefangenen ist klar gesagt worden, dass sie unter Beobachtung stehen, und sie sind natürlich verängstigt.

Denken Sie da an die Täter, die die Kriterien für Sicherungsverwahrung erfüllen und dabei nicht - wie im allgemeinen angenommen - wegen Sexualstraftaten oder Mordes verurteilt sind?

Nicht unbedingt, mir schreiben Leute von allen Ecken und Enden. Gleichzeitig ist es richtig: Eine nicht unerhebliche Zahl der Sicherungsverwahrten sind keine Gewalttäter. Einige, die gerade ihre Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben, stehen mit mir im Briefkontakt. Aber das sind Wirtschaftsstraftäter. Lassen Sie mich dazu noch eine Geschichte erzählen …

Bitte!

Ich war im Frühjahr auf einer Tagung zur Sicherungsverwahrung in Celle, wobei die Sicherungsverwahrten natürlich nicht eingeladen waren. Ich habe dann gebeten, sie besuchen zu dürfen und mein Eindruck war ein sehr starker: Ich war in einer Runde von 20 alten bis sehr alten Männern in allen Stadien des Altersabbaus. Hätte man eine Videoaufnahme von ihnen gemacht und der Öffentlichkeit gezeigt, dann hätten die Leute gesagt: Das sind nicht die Leute, vor denen wir Angst haben, das ist ja eine Art Altersheim.

Die Befürworter der neuen Regelung zur Sicherungsverwahrung argumentieren, dass endlich eine Gesetzeslücke geschlossen wurde.

Aber es ist ja nicht so, dass solche Sachen bisher keine Rolle gespielt hätten. Wir haben im Vollzug ja ein relativ präventives System, wo gegen Ende eine Summe gezogen und gefragt wird: Kann verantwortet werden, diesen Menschen vorzeitig zu entlassen? Doch wir hatten das in Verbindung mit festen Strafen, die unter Umständen verringert werden konnten. Jetzt fährt der Zug in eine andere Richtung. Die Strafen werden nach oben offen.

Halten Sie Sicherungsverwahrung grundsätzlich für ein ungeeignetes Instrument?

Die Idee ist auf den ersten Blick sehr einleuchtend: Wenige Täter festzuhalten, solange sie für die Allgemeinheit gefährlich sind. Das völlig ungelöste Problem ist die Identifizierung dieser Personen und die Prognose der Gefährlichkeit. Wenn wir jeden Zweifel ausschließen wollen, und das ist im Moment die Stimmung, dann müssen wir eine große Zahl von Menschen einsperren. Die Sicherungsverwahrung ist ein kleines Beispiel für den Beginn eines Präventionsstaates: Wir haben weniger Vertrauen darin, vergangene Straftaten zu bestrafen und zu sagen, jetzt ist gut, jetzt ist der Rechtsfriede wieder hergestellt, sondern wir wollen durch Wegsperren künftige Straftaten verhindern.

INTERVIEW: FRIEDERIKE GRÄFF

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