Kiezparade in Pankow: Schaulaufen gegen die Sparpolitik

Mit einer Kiezparade demonstrieren heute Abend soziale Einrichtungen in Pankow gegen die vom Bezirk angekündigten Sparmaßnahmen. Betroffen sind unter anderem Jugend- und Migrantenprojekte.

Auch Angebote für Kinder sind in Pankow von der Sparpolitik betroffen Bild: dpa

"Flugblätter nach links, Unterschriftenlisten nach rechts", sagt Rudi Blom und schiebt die Papiere durch die Reihen. Der Sozialarbeiter sitzt im Konferenzraum des "Aktionsbündnisses soziales Pankow" und ist "janz jelassen", wie immer. Seit 15 Jahren berät und betreut er Migranten im Berliner Bezirk Pankow, seit drei Jahren im Café "Multi Kulti". Doch wenn sein Bündnis keinen Erfolg hat, dürfte es mit der Gelassenheit vorbei sein. Denn ab 2010 will der Bezirk die Fördermittel für freie Träger kürzen; dann droht laut dem Bündnis 47 sozialen Einrichtungen mit 10.000 Nutzern die Schließung. Die Kinder- und Jugendarbeit wäre davon ebenso betroffen wie die Obdachlosenhilfe, die Frauenarbeit, die Migrantenbetreuung und etliche öffentliche Bibliotheken.

Mit einer Kiezparade vom Mauerpark bis zum Helmholtzplatz wollen 30 freie Sozialeinrichtungen und -projekte an diesem Freitag ab 18 Uhr gegen die Sparmaßnahmen protestieren. Blom erwartet dort "die ganze Vielfalt, die unseren Bezirk ausmacht": Seniorenverbände mit leeren Rollstühlen, Frauenprojekte mit Kinderwagen und Schüler auf geschmückten Wagen, insgesamt 1.000 bis 1.500 TeilnehmerInnen. Das Café "Multi Kulti" hat afrikanische Musiker um Entwicklungshilfe für den armen Bezirk gebeten: Sie werden bei der Parade trommeln, wenn die Sozialarbeiter skandieren: "Die Banken dürfen sich laben, die Bürger haben den Schaden!"

In der ersten Jahreshälfte 2009 hat der Bezirk Pankow 63 Projekte noch mit insgesamt 2,65 Millionen Euro gefördert. Doch 2010 drohen den Sozialprojekten Einschnitte, wie sie Kunst- und Kulturprojekte bereits jetzt erfahren. "Wir erleben die Ruhe vor dem Sturm", sagt Renate Stark, Bündnissprecherin und Sozialarbeiterin bei der Caritas.

Das Epizentrum des Sturms liegt im Senat, der den zwölf Bezirken in jedem der beiden nächsten Jahre 52 Millionen Euro weniger bezahlen wird, als die Bezirksbürgermeister nach eigener Einschätzung bräuchten, um ihren Vertragspflichten nachzukommen. Von sozialen und kulturellen Aufgaben ganz zu schweigen, denn diese gehören in Deutschland schließlich zu den "freiwilligen Aufgaben" der Kommunen.

Zwischen dem Sturm im Roten Rathaus und dem Sturm der Entrüstung gefangen wird der Pankower Bezirksrat Michail Nelken (Die Linke). Bei seiner Wahl vor drei Jahren hat er den Pankowern "soziale Gerechtigkeit" versprochen; jetzt macht ihn die Haushaltssperre in Pankow das Leben schwer. Satte 1,25 Millionen Euro soll er im Jahr 2010 einsparen und jeden Haushaltsbeschluss dem Senat vorlegen.

Im Bereich Kultur und Bildung hat Michail Nelken den Rotstift schon 2009 angesetzt. Von 123 Projekten, die sich für eine Förderung beworben haben, hat der Bezirk im ersten Halbjahr 29 ausgewählt und ihnen 150.000 Euro zugesichert, wie immer "unter Vorbehalt". Darunter die Inszenierung des Karen-Duve-Romans "Dies ist kein Liebeslied" von Wenke Hardt im Theater Unterm Dach. Hardt verschob die Premiere, doch sie werde das Geld "wenn überhaupt, dann frühestens im Oktober" erhalten, so das Kulturamt. Dann sei es für eine Inszenierung zu spät.

Die 38-Jährige hält die Situation für eine "böse Farce". Mit 29 Pankower Künstlern und Kulturschaffenden richtete sie Anfang Juni einen offenen Brief an den Senat: "Die Sparmaßnahmen bedrohen diejenigen in ihrem Schaffen und in ihrer Existenz, die dafür sorgen, dass diese Stadt den weltweiten Ruf einer Kulturmetropole genießt."

Wenn das Café "Multi Kulti" im nächsten Jahr schließen müsste, würden die Migranten in Pankow ihren einzigen offenen Treffpunkt verlieren und Rudi Blom seine Arbeit. "Dann kannst du in meine Beratung kommen", witzelt seine Kollegin Renate Stark von der Caritas. In ihren Sprechstunden säßen neben Künstlern auch immer mehr Sozialarbeiter, die selbst zu Sozialfällen werden.

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