Kiezdebatte über Gentrifizierung: Das Kreuz von Kreuzberg

Bei einer Diskussion über SO 36 sind sich die Teilnehmer in einem einig: Die steigenden Mieten verdrängen immer mehr Menschen aus dem Kiez. Doch was tun?

So sieht's aus: Kreuzberg mal von oben Bild: dpa

Kreuzberg 36 in der Krise? Um über "steigende Mieten, die Angst vor Verdrängung und die Auswirkungen auf den Kiez" zu diskutieren, füllten am Montagabend mehr als 200 Anwohner das SO 36 bis auf den letzten Platz. Offensichtlich brennt das Thema vielen unter den Nägeln. Hinzu kam, dass die Veranstalter vom Betreiberverein des SO 36 für eine spannende Mischung auf dem Podium gesorgt hatten.

Zuerst ließ der Stadtsoziologe Erwin Riedmann die Geschichte der vergangenen 20 Jahre Revue passieren. "Nach dem Mauerfall erwarteten alle die schnelle Verdrängung der unteren Schichten aus Kreuzberg, doch stattdessen zog der Mittelstand ins Grüne." Erst seit Beginn des neuen Jahrtausends verzeichne der Stadtteil einen Zuzug von neuen Bewohnern, die durchschnittlich pro Kopf bis zu 300 Euro mehr Nettomonatseinkommen mitbrächten als die angestammte Bevölkerung. "Inzwischen ist Kreuzberg bei den Mieten der viertteuerste Bezirk von Berlin", so Riedmann. "Und dies führt zur Verdrängung."

"Doch wohin sollen die türkischen und kurdischen Migranten gehen, die seit 40 Jahren in Kreuzberg leben?", fragte Neriman Kurt, Sozialarbeiterin beim Verein Kotti. "Ab nächstes Jahr droht eine strengere Auslegung der Mietobergrenzen von Hartz IV", berichtete sie. Bei rund einem Drittel der Mieter sei diese Grenze bereits überschritten.

"Da kann man im individuellen Einzelfall oft eine Lösung finden", konterte Sascha Burucker von der GSW, was Kurt bestätigte. Mit 1.500 Wohnungen ist die GSW einer der größten Vermieter in Kreuzberg. Doch es sei unrealistisch zu erwarten, dass die GSW auf gesetzlich mögliche Mieterhöhungen verzichte, so Burucker.

Genau da wollte Bürgermeister Schulz ansetzen und fragte sich, "wie die Situation aussehen würde, wenn Mieterhöhungen statt wie zurzeit ohne jegliche Wohnwertverbesserung alle drei Jahre um 20 Prozent nur noch im Rahmen der Inflation erlaubt wären". Weiter forderte er eine gesetzliche Obergrenze bei Neuvermietungen, und dass Modernisierungskosten nur für die Dauer der Abschreibung auf die Mieter umgelegt werden dürfen.

Diese "staatlichen Strategien" befürwortete auch Stadtsoziologe Riedmann. Er verwies aber darauf, dass die dafür nötigen Mehrheitsverhältnisse im Bund zurzeit nicht gegeben seien. "Selbst linke Parteien beginnen gerade erst Diskussionen um eine neue Wohnungspolitik." Deshalb verwies er auch auf die "zivilgesellschaftliche Strategie" der "Deattraktivierung eines Stadtteils für Investoren", was im Saal unter lautem Gelächter als "Autos anzünden" verstanden wurde. Riedmann verstand darunter eher umfassende Mieterberatungen und verwies auf ein weiteres Problem: "Es gibt eben kein ,wir', auf das sich ein ,wir bleiben alle' so einfach beziehen kann."

Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft sah eine Lösung vor allem in einem neuen öffentlichen Wohnungsbau, "der einen sozialen Versorgungsauftrag und nicht rote oder schwarze Zahlen zum Ziel hat". Konkret forderte Schulz, Berlin könne Land für Baugruppen kostenlos abgeben, und diese dazu verpflichten, in ihre Neubauten Wohnungen für Hartz-IV-Empfänger einzuplanen.

Dagegen hoffte eine Frau von der "Gruppe Soziale Kämpfe" auf eine umfassende soziale Bewegung. "Wohnen, Strom, Wasser, Nahverkehr und Bildung müssen wieder Gemeineigentum sein", betonte sie, "um das Recht auf Teilhabe in der Stadt für alle durchzusetzen."

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