Kickers Emden: Der Himmel so weit
Links oben im letzten Zipfel Deutschlands liegt die Stadt Emden. Das wissen mittlerweile auch Fußball-Fans aus Stuttgart und München, denn Kickers Emden ist Spitzenreiter in der 3. Liga. ROGER REPPLINGER
Der Himmel über Emden ist weit und der Wind macht, dass er alle paar Minuten anders aussieht. Mal blau, mal grau, mal zwischendrin. Am Horizont sieht man ein Riesenrad ohne Gondeln, da wird ein Rummelplatz aufbaut - es ist Schützenfest-Zeit und in der anderen Richtung stehen Kräne.
Am Rand des Platzes, auf dem Kickers Emden trainiert, liegen Kippen und Flaschen aller im Norden gängigen Biersorten. Auch leere Zigarettenschachteln. Das ist Stefan Emmerling, dem Trainer der Fußballer von Kickers Emden, die in der eingleisigen Dritten Liga auf Platz eins liegen, etwas peinlich. Muss ihm nicht peinlich sein, denn das ist der Platz des RSV Emden, der den Kickers Asyl gewährt, weil der Platz der Kickers strapaziert ist. Kleieboden, der sofort überschwemmt ist, wenn es mal regnet. "Aber es regnet ja nie in Emden", sagt Thomas Richter, Co-Trainer, Torwart-Trainer, Teammanager. Sarkasmus und Ämterhäufung sind zwei wichtige Charakteristika bei Kickers Emden, die sich in der Rolle des Underdogs befinden, den die anderen - traditionsreiche Clubs wie Fortuna Düsseldorf, Dynamo Dresden, der SC Paderborn -, nicht ernst nehmen. Gut möglich, dass sich das bald ändern wird.
Der Trainingsplatz sieht so aus, weil der Platzwart des RSV Emden im Urlaub ist. Noch höher als der Platz ist der Müllberg. "Wir trainieren auf einer Müllhalde", sagt Emmerling, 249 Bundesliga- und 106 Zweitligaspiele für Kaiserslautern, Wattenscheid, Hannover 96, MSV Duisburg und Fortuna Düsseldorf. In Düsseldorf war Emmerling erst Spieler, dann, ab April 2002, Trainer.
Er ging zu Alemannia Aachen II, machte sich Hoffnungen, Nachfolger von Michael Frontzeck zu werden, doch Sportdirektor Jörg Schmadtke holte Weltmeister Guido Buchwald als Trainer der Profis, der rasch scheiterte. Aber da war Emmerling schon in Emden.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Emmerling ist froh, auf dem RSV-Platz trainieren zu dürfen und auch auf dem von Rot-Weiß Emden. "Damit wurde uns sehr geholfen", sagt er. Vorher war es viel schwieriger. Die Kickers tragen Freundschafts- und Testspiele beim RSV und bei Rot-Weiß aus, deren Einnahmen dort bleiben. Es riecht nicht nach Müllhalde. Der Müll ist klein gemahlen und wird von Lastwagen über eine Schotterstraße nach oben transportiert. Der Hügel wächst und ist ein Bild für den Aufstieg der Kickers. Den ersten Platz in der Dritten Liga teilen sie sich derzeit Bayern München II.
Die Kickers haben mit zwei Millionen Euro den kleinsten Etat, wie man hört soll der SC Paderborn 07 einen von 7,8 Millionen Euro haben. Ein Kickers-Spieler, der zum SV Sandhausen wechselte, verdient dort das Doppelte. Die Kickers haben auch, abgesehen vom Stadion, in dem Werder Bremen II kickt, mit dem Embdena-Stadion, Fassungsvermögen 7.200, das kleinste, die Stadt ist mit 50.000 Einwohnern auch eine der kleinsten. Der Zuschauerzuspruch steigt seit Jahren und liegt inzwischen bei 4.900. Das Einzugsgebiet ist groß, aus den angrenzenden Niederlanden kommt allerdings kaum jemand, die gehen zum FC Groningen.
Die "Deichkicker", an der Peripherie des Profifußballs - was für einige Drittligisten Fahrtstrecken von 900 Kilometern und mehr bedeutet - auf dem Weg in Liga zwei?
Björn kommt fast immer. Elf Jahre alt, Irokesenschnitt, rote Haare, Sommersprossen, Ribery-Trikot, Realschule, fünfte Klasse. Kickt für den RSV. Guckt, ob der Kumpel, mit dem er verabredet ist, endlich kommt. Auf die Frage, was er spielt, sagt er: "Manchmal alles." Dann misslingt Richter eine Flanke beim Torwarttraining und Björn spielt sie mit links zurück. Beidfüßig? "Jaa", sagt er. Spiele guckt er auch an. Wer sein Lieblingsspieler ist? Er denkt nach und sagt dann: "Rudi Zedi."
Mannschaftskapitän Zedi, vor ein paar Tagen 34 Jahre alt geworden, hat in Düsseldorf mit Emmerling und unter Emmerling gekickt und war in Emden bevor Emmerling kam. Auf die Frage, ob die Kickers aufsteigen, sagt Björn "jaa". Und dann sagt er "muss jetzt", weil sein Kumpel da ist und sie kicken können.
Während die Spieler trainieren, arbeitet Präsidenten Engelbert Schmidt in seinem Büro am Hafen. Seine Firma beschäftigt sich mit Schiffsfinanzierungen und Immobilien, Schmidt beschäftigt sich auch mit Fußball. Er ist vor zehn Jahren in das Amt gestolpert, als die Kickers mit 3,8 Millionen Mark Schulden vor dem Konkurs standen. "Meine Motivation war: die Jungs und Mädels, die bei Kickers spielten, sollten nicht auf der Straße stehen. Und: Spitzenfußball in Emden."
Schmidt bemüht sich um den Bau eines neuen Stadions, Kapazität 15.000, davon 12.000 Sitzplätze, alles überdacht, eine kleine Ausgabe der Allianz-Arena München. Das alte Stadion genügt den Anforderungen nicht mehr. Das Problem ist die Finanzierung: "Damit sind wir auf der Zielgeraden", sagt Schmidt. Der gerne hätte, dass sich der VW-Konzern, der ein großes Werk in Emden hat, beim Stadionbau engagiert.
Ökonomisch macht Schmidt, was die 3. Liga anbelangt, eine einfache Rechnung auf: Die Fernseheinnahmen stiegen von 365.000 auf 580.000 Euro, in der 2. Liga sind es vier Millionen. "Das macht die Geschichte einfacher", sagt Schmidt und mustert seine Krawatte. Die finanziellen Erwartungen, die mit der neuen Liga verbunden waren, "wurden enttäuscht", sagt er, "doppelte Fahrtkosten als bisher, aber keine doppelten TV-Gelder. Eine Katastrophe. Das ist nicht durchdacht".
Weiteres Problem: Die Attraktivität. Es besteht die Gefahr, dass drei zweite Mannschaften von Bundesligisten in die 3. Liga aufsteigen. Und dann wären das mit Bayern und Bremen II, und der Zweiten des VfB Stuttgart, schon fünf. "Die will keiner sehen, vielleicht mit Ausnahme der Bayern. Aber Wolfsburg zwo? Nee!", sagt Schmidt. Also: Nix wie weg aus der Dritten. Und hoch in Liga zwo.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!