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Archiv-Artikel

Kicken für mehr Akzeptanz

Vertreter von Türkiyemspor und dem Lesben- und Schwulenverband diskutieren über die Probleme homosexueller Migranten. Ergebnis: Man muss noch viel mehr aufklären. Dazu sollen auch die zweiten Respect Gaymes beitragen

Es war kein gewöhnlicher Mittwochabend im Vereinslokal Türkiyemspor am Kottbusser Tor. Denn die Ruhe der rund 30 türkischen Männer, die wie sonst auch ins Kartenspielen vertieft ihr Bier tranken, wurde gestört. Grund war eine Podiumsdiskussion mit dem Thema „Migration, Integration, Fußball und Homosexualität“. Dazu hatten der Lesben und Schwulenverband (LSVD) eingeladen, gemeinsam mit dem Verein Türkiyemspor. Rund 70 Gäste, etwa gleich viel Türken wie Deutsche, kamen – und drängten die Stammgäste an den Rand.

In dem Gespräch ging es um die Akzeptanz von Schwulen und Lesben unter türkischen und arabischen Migranten. Bali Saygili berichtete von den häufigsten Problemen, mit denen homosexuelle Migranten zu kämpfen haben: „Viele haben ihr Coming-out schon hinter sich. Sie scheitern jedoch daran, dass sie von ihrer Familie nicht akzeptiert werden“, sagte Saygili, der das zum LSVD gehörende Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) leitet.

Auch der Glaube spiele eine große Rolle. Der „Alltagsislam“ überzeuge die meisten, dass man nicht zugleich Muslim und schwul sein kann. Er würde häufig gefragt, wie man denn die „Krankheit“ Homosexualität wieder loswerden können, so Saygili – dabei hätten die meisten muslimischen Lesben und Schwule den Koran nicht einmal selbst gelesen.

Der Journalist Hakan Tas erklärte, die meisten homosexuellen Türken würden aufgrund ihrer Sexualität ihre Religion nicht ausleben. Liberale Moscheen, die Homosexualität nicht verurteilen, seien leider bis heute die Ausnahme. Dennoch hätte sich viel seit Anfang der 80er-Jahre bewegt. „Allein, dass wir heute hier sind, zeigt, dass die Schwulenbewegung auch in der türkischen Community Erfolg hatte“, so Tas.

Gilles Duhem, der einstige Quartiermanager des Neuköllner Rollbergviertels, betonte deswegen die Bedeutung von aufklärenden Veranstaltungen. Der gesellschaftliche Druck, ihre Homosexualität zu unterdrücken, sei besonders unter Migranten sehr hoch. Viele Jugendliche, die sich hinter Ausdrücken wie „Schwuchtel“ verstecken, seien in Wahrheit sehr neugierig. Jetzt ginge es darum, Schwule und Lesben gemeinsam mit Vertretern der türkischen Community „aufzuklären und Gehirne zu lüften“.

Laut Bilinc Isparta, der Sprecher von Türkiyemspor, sei der LSVD mit seinem Anliegen, gemeinsam zu arbeiten, bei seinem Verein auf offene Ohren gestoßen. Gerade im Sport zähle die Chancengleichheit, unabhängig von Glaube, Herkunft oder sexueller Orientierung. Diese wird dem türkischen Verein auf dem Sportplatz nicht immer gewährt, so Isparta.

Türkiyemspor unterstützt den LSVD nun in der Ausrichtung der zweiten „Respect Gaymes“ am 9. Juni. Migrantenverbände, Sportvereine, Schulen und Jugendzentren werden zu diesem Sportereignis aufgerufen, sich in den Disziplinen Fußball, Streetball und Kampfsport zu messen.

Der LSVD-Geschäftsführer, Alexander Zinn, ist mit dem Ergebnis der Podiumsdiskussion zufrieden: „Türkiyemspor leistet auf diesem Gebiet Pionierarbeit.“ Dabei hat die Diskussion die Stammgäste des Vereinsheims kaum interessiert: Sie haben weitergezockt – und das äußerst laut. Tim Westerholt