Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch: "Ein toller Rückzugsort"
Die ehemalige Residenz von Rio Reiser und seiner Band Ton Steine Scherben, der Friesenhof bei Fresenhagen steht weiter zum Verkauf. Die Hamburger Band Kettcar hat dort kürzlich ein Demo aufgenommen - und kann erzählen, wie es um Rios Geist und seine Fans bestellt ist.
Herr Wiebusch, warum sind Sie mit Ihrer Band eigens nach Fresenhagen gefahren, um ein Demo aufzunehmen?
Marcus Wiebusch: Es hat sich für uns als sehr produktiv erwiesen, dass wir uns ein- bis zweimal pro Jahr für eine Woche ausklinken und proben. Wir waren jetzt das zweite Mal in Fresenhagen und werden sicher noch öfter hinfahren. Weil wir da sehr willkommen sind. Im ersten Jahr haben wir da eine Woche umsonst Kost und Logis gekriegt. Dafür haben wir da ein Solikonzert gespielt, das sehr schnell ausverkauft war. Das hat sich dann auch für Fresenhagen gelohnt.
Das Haus ist das ehemalige Domizil von Rio Reiser. Wie würden Sie die Atmosphäre dort beschreiben?
Es ist alles sehr friedlich. Der Hof ist eingebettet in Natur, da ist nur noch ein Golfplatz daneben, aber den kriegt man überhaupt nicht mit. Man fährt so zwei Kilometer in den nächsten Ort. Trotzdem atmet innerhalb des Hauses ein spezieller Geist.
Ein spezieller Geist?
Alles ist sehr liebevoll auf Rio und sein Vermächtnis zugeschnitten. Ich komme ja aus der Punk-Szene und bin deshalb Rio Reiser sehr verbunden. Aber ich war eigentlich nie so ein Fan, weil ich mich doch eher zum Punk bekannt habe. Und ich habe jetzt tatsächlich das Werk nochmal neu entdeckt: Da ist ein Museum neben dem Haus, da kann man sich alle Songs anhören und bekommt viele Hintergrundinformationen.
Hat Sie das auch für Ihre eigene Musik inspiriert?
In jedem Zimmer ist ein Text von Rio abgedruckt. Ob man will oder nicht: Man liest sich das durch und schon sackt es ins Bewusstsein. Aber ich würde nicht sagen, dass wir den Geist von Rio atmen und dann Songs schreiben. Es geht eigentlich nur darum, dass wir einen Ort voller Ruhe haben.
Der Friesenhof im schleswig-holsteinischen Fresenhagen diente Rio Reiser ab 1975 als Rückzugsort. Reiser starb 1996 und wurde im Garten des Hofs begraben.
Im Jahr 2000 wurde der Hof als Rio-Reiser-Haus eröffnet. Seitdem finden Konzerte statt, außerdem gibt es ein Museum, ein Tonstudio und Schlaf- und Seminarräume, die vermietet werden.
Zum Verkauf steht der Hof seit Anfang des Jahres, weil Reisers Bruder Gerd Möbius und der Trägerverein die laufenden Kosten nicht mehr tragen können.
Ob es zum Verkauf kommt, ist unklar. Für diesen Sommer wurden zwar keine Konzerte geplant, aber es gibt eine neue Homepage: www.rioreiserhaus.de
--
Marcus Wiebusch, 42, stammt gebürtig aus Hamburg-Wilhelmsburg und ist einer der Betreiber des Hamburger Labels Grand Hotel van Cleef sowie Frontmann der Band Kettcar.
Stört da nicht der Rio-Tourismus ein wenig?
Das war auch unsere Befürchtung, aber das hält sich sehr in Grenzen. Ein, zweimal am Tag kommen Leute ins Museum. Aber wir waren da in diesem relativ abgetrennten Studio-Bereich. Und da kommt keiner hin.
Schläft jemand in Rio Reisers Zimmer?
Gott bewahre. Das ist schon ein heiliger Ort. Da darf keiner schlafen.
Wo haben Sie geschlafen?
Es gibt da fünf Gästezimmer. Und wir sind fünf Musiker.
Fresenhagen wird von vielen als zentraler Ort der deutschen Nachkriegspopgeschichte begriffen. Ist das zu hoch gehängt?
Das kommt darauf an, wie man das Werk und die Leistung von Rio Reiser beurteilt. Er hatte schon sehr großen Einfluss auf die deutschsprachige Rockmusik. Das sieht man schon alleine daran, wer ihn alles covert. Selig zum Beispiel wären undenkbar ohne Rio Reiser. Dass in Deutschland in kleinen Ansätzen ein Ort mit einem Künstler verbunden wird, wie zum Beispiel in den USA Elvis mit Graceland, finde ich gut. Nur wurde Reisers künstlerische Leistung für den Mainstream dadurch überschattet, dass er linksradikal war und nicht mit dem Zeitgeist konform ging. Deswegen bekommt dieser Ort keine so große Bedeutung. Es sind schon nur Insider aus einer bestimmten Szene, die wissen, was Fresenhagen ist. Nicht mal in meinem Freundeskreis wissen alle, dass es Fresenhagen gibt.
Fresenhagen sei "für die deutsche Geschichte seit 1968 so wichtig wie das Goethehaus für den Weimar-Kult", schrieb die Süddeutsche Zeitung. Strahlt der Ort das aus?
Das ist eine Frage von Mythos und Wirklichkeit. Je mehr man weiß über die Zerrissenheit von Ton Steine Scherben und das Ende der Band, desto mehr entmystifiziert sich so ein Ideal. Ich habe selber in den 1990ern in einem alternativen Wohnprojekt mit 14 Leuten gelebt. Das war eine tolle Zeit, aber irgendwann habe ich davon auch die Schnauze voll gehabt. Das wurde dann auch unschön. Was ich über Fresenhagen in der Richtung gehört habe, ist es da auch schwierig gewesen mit dem Miteinander. Kommt ja auch nicht von ungefähr, dass sich so eine Band mit so einer Bedeutung dann so auflöst. Das würde ich nicht glorifizieren.
Fresenhagen steht nach wie vor zum Verkauf. Nahe liegend wäre, dass eine Band oder vielleicht eine Plattenfirma das Anwesen mitsamt Tonstudio und Gästezimmern übernimmt. Wäre das nicht etwas für Ihre Band Kettcar und Ihr Label Grand Hotel van Cleef?
Erstmal würde das sämtliche Budgets übersteigen, die Grand Hotel van Cleef hat. Wir haben schwierige Zeiten für die Musik. Wenn das so weiter läuft, macht das Grand Hotel in zwei Jahren dicht. Wir sind total pleite. Aber für eine Band, die das nötige Kleingeld hat - was für Kettcar übrigens auch nicht zutrifft - wäre Fresenhagen als Rückzugsort natürlich eine tolle Option. Aber dafür ist es auch wieder zu groß und zu teuer. Es ist ein tolles Haus, es ist sehr liebevoll restauriert, es hat eine gehörige Fläche. Ich weiß nicht, wer sich das leisten könnte.
Udo Lindenberg vielleicht.
Ja, der wäre einer der wenigen. Oder Herbert Grönemeyer natürlich. Der hat ein tolles Statement über Rio Reiser verfasst. Er ist offensichtlich auch Fan gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?