: Kennedy gegen namenlos
■ Der Vergewaltigungsprozeß gegen einen Kennedy-Neffen beherrscht die US-Medien
West Palm Beach (wps/taz) — Wieder ist das Fernsehen live dabei, wieder geht es um sexuelle Gewalt, doch dieses Mal sind die Antagonisten nicht Clarence Thomas und Anita Hill, sondern William Smith Kennedy und eine 30jährige alleinerziehende Mutter, deren Name nicht genannt wird. Denn dieses Mal geht es nicht um sexuelle „Belästigung“ am Arbeitsplatz, sondern um den Vorwurf der Vergewaltigung. Die ganze Nation ist live dabei, seit in West Palm Beach/Florida gegen den 31jährigen Neffen des Senators Edward Kennedy verhandelt wird, weil er Ostern dieses Jahres auf dem Anwesen der Kennedys die Klägerin vergewaltigt haben soll.
Und die ganze Nation war dabei, als die Klägerin am zweiten Verhandlungstag, von Weinkrämpfen geschüttelt, den genauen Hergang der Tat beschreiben mußte, die sowohl der Beklagte als auch sein Anwalt nach wie vor als „einvernehmlichen Liebesakt“ beschreiben. Wogegen nicht nur die Aussage der Frau, sondern auch der Notärztin stehen, die der Klägerin körperliche Verletzungen diagnostizierte, „die eindeutig auf eine Vergewaltigung hindeuten“.
Um ihre Anonymität zu wahren, ist im Fernsehen statt des Kopfes der Frau ein grauer Fleck zu sehen, ihren Namen verschweigen die Zeitungen. Die Rücksichtnahme ist Heuchelei. Lange vor Prozeßbeginn hatte die 'New York Times‘ entgegen den Pressegepflogenheiten bei Vergewaltigungsprozessen den Namen der Frau veröffentlicht. Andere Blätter zogen nach und zerrten ihr gesamtes Privatleben an die Öffentlichkeit bis hin zu ihren Beziehungen mit Männern während der letzten fünf Jahre. Jetzt plötzlich in die Anonymität gedrängt zu werden, mag letztlich dem Angeklagten eher nützen als der Klägerin. Denn William Kennedy Smith hat ein Gesicht, wenn auch ein ausgemacht blasses, und er hat einen Namen, wenn auch einen skandalumwobenen. Doch im Gegensatz zur Klägerin kann sich Smith nach der Vernehmung der Frau vor die Kameras außerhalb des Gerichtssaals an das US-Fernsehpublikum wenden: „Wir“, sagt er zu den Zuschauern, zu denen er sich offenbar selbst auch zählt, „haben gerade eine emotional sehr bewegende Aussage erlebt. Aber mit diesen Anschuldigungen lebe ich seit Monaten, und ich hoffe auf Ihre Geduld bis ich beweisen kann, daß sie falsch sind.“
Zu diesem Zweck hat ihm seine Familie einen Anwalt finanziert, dem es letztlich darumgeht, zu beweisen, daß der Straftatbestand hier nicht Vergewaltigung heißt, sondern Verunglimpfung des Rufs einer ganzen Familie. Letztere ist Teil der Strategie, indem sie sich nicht etwa von ihrem potentiellen Schandfleck distanziert, sondern offensiv im Gerichtssaal präsent ist, um „Willie“ zu unterstützen.
Dabei rührt der Prozeß an einem ganz anderen Trauma — und das macht seinen Ausgang letztlich ungewiß: Der Fall William Smith Kennedy ist symptomatisch für das, was die Amerikaner „date rape“ nennen: Die Vergewaltigung von Frauen durch den Freund, den Bekannten, den Kollegen oder Kommilitonen, die das Einverständnis zu einem „date“, einer Verabredung, als Freibrief über die sexuelle Verfügbarkeit der Frau ansehen. Andrea Böhm
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