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Keith Jarrett in FrankfurtVerschwörung der Hüstelnden

Kommentar von Christian Broecking

Pianist Keith Jarrett trat in Frankfurt zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder solo in Deutschland auf - ein Desaster aus Größenwahn und Virtuosität.

Dejà Vu? Keith Jarrett am Sonntagabend. Bild: alte oper frankfurt/anna meurer

D ie Erwartung hing hoch. Fünfzehn Jahre lag das letzte Solokonzert in Deutschland zurück - doch nur wenige Monate sein Rausschmiss aus Perugia, dem führenden italienischen Jazzfestival. Dort hatte er das Publikum mit F- und A-Wörtern begrüßt, und doch eigentlich nur, weil man den geliebten Star so gerne fotografiert hätte. Später brach er sogar das Konzert ab, und der Festivalchef hat mittlerweile angekündigt, dass man auf Jarrett, der in Perugia jedes Jahr zu Gast gewesen war, zukünftig gern verzichten wird. In Frankfurt nun war nach zehn Minuten zum ersten Mal Schluss. Jarrett hatte offenbar ein Hüsteln vernommen, hörte abrupt zu spielen auf und machte sich sofort in Oberlehrerpose daran, sein Publikum zu degradieren. Was es denn in den vergangenen 25 Jahren gelernt hätte, so lange würde er schließlich schon fordern, dass nicht fotografiert, telefoniert, geredet und gehustet werden darf, wenn er naht. Wer 140 Euro für eine Eintrittskarte zahlt, habe damit noch nicht das Leiden des Künstlers abgegolten, suggerierte Jarrett. Er verlange Aufmerksamkeit und Konzentration, ansonsten könne er ja gleich aufhören und in einer Hotelbar spielen.

Dabei war das Frankfurter Publikum, das sich am Sonntagabend in der seit langem ausverkauften Alten Oper versammelt hatte, äußerst brav, ja, im nachhinein betrachtet vielleicht viel zu brav. Denn Jarrett schien gerade auf ein Zeichen gewartet zu haben, um sein auffallend unkonzentriertes Spiel schnell zu unterbrechen.

Bis heute hat sich Jarretts "The Köln Concert", 1975 aufgenommen, zwar über drei Millionen Mal verkauft, doch es ist schwer zu sagen, was diesen Mann noch motiviert, künstlerisches Interesse ist es offenbar nicht. Bei Jarrett treffen sich Geschäft und Virtuosität, und seine Idiosynkrasien waren ja früher schon schwer erträglich.

In einem offenen Brief in der New York Times beleidigte Jarrett einst nicht nur den Saxofonisten Branford Marsalis, deshalb kam er in der viel beachteten Ken Burns Dokumentation über die Geschichte des Jazz vermutlich gar nicht erst vor. Im dazugehörigen Buch wurde ihm jedenfalls vorgehalten, er habe öffentlich angezweifelt, dass Wynton Marsalis einen richtigen Blues spielen könne. Im Rahmen seines Carnegie-Hall-Konzerts in jenem Sommer wetterte Jarrett dann gegen den von ihm als Jazz-Analphabeten titulierten Burns und dessen Chefberater Wynton Marsalis.

Eifersüchtig hat er wiederholt die führende Rolle, die Marsalis in Bezug auf den Jazz in Amerika zugeschrieben wird, kritisiert, schließlich sieht er allein sich in der Tradition und Nachfolge von Miles Davis - in dessen Fusion Band er von 1969 bis 1971 spielte - als den Bewahrer und Erneuerer des großen Jazzerbes. Um diese Position stritt er mit Leserbriefen und Plattenveröffentlichungen - ohne jedoch von der Musikergemeinschaft die ersehnte Anerkennung zu bekommen.

Ohne Frage hat Jarrett wunderschöne Musik aufgenommen, "At The Blue Note" (1995) zeigt sein mittlerweile leider in der Statistenpose gefangenes Standardtrio mit Gary Peacock, Bass, und Schlagzeuger Jack DeJohnette in Höchstform, "Belonging" (1974) dokumentierte seine äußerst kreative Zusammenarbeit mit Jan Garbarek, "Fort Yawuh" (1973) die mit Dewey Redman. Doch statt mit künstlerischer Professionalität und Seriosität überrascht Jarrett heute mit so kleinkariertem wie wirrem Verschwörungsgeschwafel. Es gebe einen Zusammenhang zwischen innen und außen, referiert Keith Jarrett in der Alten Oper, zwischen den hüstelnden Zuschauern und den bösen Medien: Zusammen hätten sie sich gegen ihn verbündet.

Einen perfekten Ablauf wollte man gewährleisten, so stand es auf Schildern beim Einlass, und so wurde es auch vor Beginn von der Bühne verkündet, denn das Konzert sollte mitgeschnitten werden. Ob sich der Aufwand gelohnt hat, mag bezweifelt werden. Denn neben zwei, drei kurzen Kunststückchen, die Jarrett an diesem Abend gelangen, und einigen bluesorientierten Groovefragmenten bot er vor allem Etüden und filmmusikalisch anmutende Akkordfortschreitungen am Rande der Belanglosigkeit. Das einzige inspirierte Stück, aus dem vielleicht noch etwas Fundiertes hätte entwickelt werden können, erstickte er selbst schon binnen der ersten 10 Minuten.

Dass das Publikum nach 40 Minuten Konzert vor der Pause und 30 Minuten danach stürmisch vier kurze Zugaben herbeiklatschte, kann den Eindruck nicht schmälern, dass das intellektuelle Niveau auf der Bühne kaum einmal unteres Mittelmaß erreichte. Schlimmer noch wirkt, dass es einfach nicht gut klingt, wenn ein sich maßlos selbst überschätzender Künstler kaum mehr den Weg zurückzufinden scheint. Das magere künstlerische Ergebnis überragt Jarretts enervierende Selbstherrlichkeit mit großer Not.

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20 Kommentare

 / 
  • KK
    Klemens Kuch

    ach, was für ne aufregung. und so verständlich.

    ich hätt das konzert gern erlebt, aber das versteht halt nicht jeder.

  • WB
    wanja belaga

    sind denn alle von sinnen?

    ein begabter pianist und improvisator, leider nicht zu begabt und leider ohne geschmack und stil.

    ob er sich wie ein arsch benimmt interessiert mich nicht, aber gute musik wäre schon wichtig. und den beweis dass er dies kann, oder auch herausragender pianist wäre ist er mir nach "genuß" von vier solo-live-mitschnitten schuldig geblieben.

    postromantischer adept, für zweitklassige fernsehfilme wäre es ok, als allein für sich stehende musik nicht gegeignet.

    grrrr, und das ärgerlichste: er spielte eine zeitlang bach, und das nicht zu knapp und grottenschlecht, so einb spießer!

  • MP
    Martin Preiser

    "Endlich hat mal jemand den Mut gehabt, diesen selbstherrlichen Jarrett mal wieder ins richtige Regal zu räumen." Auf solche oder ähnliche Reaktionen scheint es der Verfasser dieses Artikels abgesehen zu haben.

    Man kann ja darüber streiten, ob man den wenig entspannten Umgang mit Publikum und Kollegen toll findet oder nicht, aber diesen Mann künstlerisch so dermaßen fehlzubeurteilen, zeugt schon von einer ausgeprägten musikalischen Wahrnehmungsstörung, tut mir leid.

    Leider muß ich auch einigen Kommentatoren konstatieren, daß sie sich von ihrem offenkundig eingestandenem Halbwissen nicht von unvorsichtigen Abwertungen abhalten lassen. Sehr schade.

  • SM
    Stefan Maria Rother

    Das Husten war schwer erträglich und wurde nur durch die Attitüde von Keith Jarrett ad absurdum geführt. Wer kann schon immer sofort einen Meisterwurf hinlegen? Und liegt nicht in jedem zweiten Juchzer der Wunsch immer schon seit Köln dabei gewesen zu sein? Jarrett hat im ersten Stück schlichtweg geklimpert und die Huster als Ausrede benutzt. Danach hat keiner mehr ein Konzert gehört, sondern war in einer Erziehungsanstalt. Der zweite Teil war gut. Aber Improvisationen waren es nicht, wie auf der Eintrittskarte angekündigt. Zurück zu Hause klang das Carnegie Hall Concert schwer nach Frankfurt Old Opera und war vor allem eins: eine Erlösung: wir haben keines Mal gehustet und der Meister war glücklich-bis zum End der CD - glückliche Technik - fort mit den Menschen. Demnächst spielt Kraftwerk in Deutschland. Wo werden wir mehr Mensch sein, Herr Jarrett?

  • W
    wanja

    schlechte musik bleibt schlechte musik.

    ob retortenbands wie backstreet boys für teenie girls oder ewig stehengebliebene wie

    jarrett für die midlife crisis new age generation

     

    hoffen wir mal das es den lieben gott tatsächlich gibt und der jünsgte tag all diese cd´s mit jarretts solo-tränenergüssen genauso wegschwämmt wie claydermann oder wie der werte konkurrent heisst.

     

    ich empfehle ein wenig hygiene: ein bisschen bach und wiener klassik, für klavirfetischisten mit jazz-schlagseite tatum, evans oder garner, für fortgeschrittene ein wenig cecil taylor.

    und zum mitheulen dann doch lieber edith piaff

  • DB
    Dirk Bruns

    Hallo,

    man muss die Musik nicht mögen, deshalb sollten die Fakten nicht verdreht werden. Metheny, Mehldau usw. nennen Jarrett als Ihren größten EInfluss. Polar Music Prize, das alles sind wohl Anerkennungen.

     

    Ruhe und wenig Lärm im Konzertsaal, das wünschen sich viele Klassik Pianisten auch. Ich denke, wenn man das Konzept von KJ , Improvisation mit Publilkumgsunterstützung und -aufmerksamtkeit nicht mag oder nicht versteht, na dann gibt es doch bestimmt andere Freizeitbeschäftgigungen.

  • H
    Haberland

    Gut, dass ich auch so "kleinkariert" bin - sonst würde ich ja die TAZ lesen.

  • A
    Axel

    Ich habe keine Ahnung, welche offenen Rechungen der Kritiker noch mit Keith Jarrett zu begleichen hat, aber allen Ernstes zu behaupten, Keith Jarrett habe keine "Anerkennung von der Musikergemeinschaft" bekommen, ist geradezu lächerlich. Keith Jarrett ist unumstritten einer der besten und anerkanntesten Jazz-pianisten der Gegenwart. Die Intention Keith Jarrett hier "kleinzuschreiben" springt einen förmlich zwischen jeder Zeile an. Eine solche Kritik kann man nicht ernst nehmen ( und die Zeitung, die sie veröffentlicht leider auch nicht!).

  • MM
    Mike Mischkowski

    Seit 1976 studiere ich die Musik von K.J. (nicht als Musiker, sondern als Maler und Bildhauer) und beobachte seit ca. Mitte der 80er Jahre eine gewisse Verflachung. Bei vielen schöpferischen großen Geistern ist das zeitweise geschehen. Ausruhphasen etc. braucht jeder. Ich wünsche mir, allen Jarrettliebhabern und auch ihm, daß er einen Schritt macht und zu neuen Ufern aufbricht und die Menschheit nochmals mit irrsinnig großartiger Musik wie die Sun Bear Concerts beschenkt. Ich trau es ihm zu und hoffe es sehr sehr sehr.

    Mike Mischkowski

  • KT
    Kumar Thomas Junk

    Danke für diesen wunderbar ehrlich geschriebenen Artikel. Zurück bleibt ein Gefühl von Traurigkeit und Unverständnis. Eigens aus Stockholm angereist, hatte ich zwar weitgehend die Erwartungen zu hause gelassen, wurde allerdings trotzdem durch Keith Jarrett`s unverschämte Art und Weise mit dem Publikum umzugehen sehr entäuscht. Ehrlich gesagt haben mich die Huster am Anfang des Konzertes auch gestört und selbst die Aufforderung die chaotische äußere welt nicht in den Konzertsaal mitzubringen, teile ich unangefochten. An Stelle einer plumpen Belehrung sollte Herr Jarrett dann allerdings dafür sorgen, dass das Publikum auf ein festliches Ereignis eingestimmt wird, so wie ein H.J. Behrendt es zu verstanden gewußt hätte. Ich liebe K.J. Musik, und dennoch hätte ich gerne meinem Impuls nachgegeben Herrn Jarrett in den Keller zu schicken. Dass das Publikum ihn dennoch so phrenetisch feierte ist mir unbegreiflich und bringt mir ein Zitat von John Zorn`s "Naked City" ins Gedächtnis. -Jazz Snob eat shit-! Ich freue mich jedenfalls auf den am Boden der tatsachen gebliebenen Brad Mehldau nächste Woche in Stockholm, der für ein Viertel des Kartenpreises mit Sicherheit mehr Jazz auf die Bühne bringen wird.

    Thomas Junk

  • PP
    Peter Przybylski

    Auch ich war im Konzert in Frankfurt und Teil des am Ende begeisterten Publikums. Über die Art und Weise, wie Jarrett um Aufmerksamkeit bat, mag man geteilter Meinung sein. Dass er es überhaupt tat, dafür war ich ihm mehr als dankbar. Denn danach war einigermaßen Ruhe. Hätte er es nicht getan und den Lärm über sich ergehen lassen, dann wäre niemand in den Genuß des nach der Pause großartigen Konzertes gekommen. Im übrigen hat er vor der Pause 45 Minuten und danach (incl. Zugaben) 80 Minuten gespielt - vielleicht ist Herr Broecking einfach früher gegangen und hat somit des beste verpasst?

  • J
    Jörg

    Der Artikel spricht mir aus dem Herzen. Vielen Dank!

    Es ist unglaublich, wenn Musiker vergessen, wer es ihnen ermöglicht ihre Kunst zu realisieren. Wenn sie nicht darauf angewiesen sind und die Reinheit ihrer Musik ohne Störung in Selbstvergessenheit und -gefallen geniessen wollen, sollten sie sich in Kammern einschliessen und die Noten still lesen.

    Ich kenne ausser dem Standard"werk" "Köln Concert" nichts von Keith Jarrett und so wird es bleiben.

  • CT
    Christian Topp

    Daß Keith Jarrett arrogant ist und trotz seiner Genialität an Selbstüberschätzung leidet, war mir schon vor dem Konzert klar. Deshalb hat mich sein Aufspielen als Oberlehrer im ersten Teil nicht überrascht, es störte aber den weiteren Verlauf des ersten Teils des Konzertes auf empfindliche Weise. Die großen Bögen, das, was ich an Jarretts musikalischen Reise immer als so genial empfand, waren praktisch nicht vorhanden. Man hatte das Gefühl Jarrett wollte schnell in Pause und versuchte kurze Stücke zu spielen, um jedenfalls einen Teil des Konzertes für eventuelle Veröffentlichungen später verwenden zu können.

    Der zweite Teil war das Genialste und Schönste, was ich jemals gehört habe. Egal ob Chopin, Schubert, ein Choral, eine Ballade, atonale polyphone Linen oder grooveorientierte Bluesstücke, alles klang nach Jarrett, und dieser sprühte nur so vor Ideen. Wer dies belanglos und das intellektuelle Niveau als unteres Mittelmaß bezeichnet, der weiß nicht, was er schreibt und versucht sich wahrscheinlich nur zu profilieren, indem er provoziert. Um Jarretts Spiel begreifen zu können, gehört eben mehr als nur eine mittelmäßige musikalische Allgemeinbildung, und wenn sich ein Kritiker in seinem Artikel überwiegend nur mit Äußerlichkeiten beschäftigt, hat er wahrscheinlich von der Tiefe keine Ahnung.

  • J
    jojakim

    ich war da - und du hast vollkomen recht!!!

    wer künstlerisch nichtsmehr zusagen hat, verliert die wahre leidenschaft des musizierens. als wären wir als zu melkendes publikum diejenigen, die bezahlen um beschimpft zuwerden. kunst besteht auch mit hustenden!

  • FS
    Frank Schmidt

    Keith Jarrett ist und bleibt der größte Pianist seiner Zeit und einer der bedeutendsten Musiker der Jazzgeschichte. Meinen bisherigen Erfahrungen nach - vier Konzerte in den letzten fünf Jahren, das in Frankfurt war nicht dabei - ist er gar nicht fähig, "belanglos" zu spielen.

     

    Was jedoch das Konzertvergnügen zunehmend schmälert sind Jarretts divenhaft-hysterische Wutanfälle wegen minimaler Geräusche, die nun einmal nicht ausbleiben können, wo sich Menschen in vierstelliger Anzahl versammeln. Wer seinem Publikum derartig horrende Eintrittspreise abverlangt, der muss auch damit leben können, dass gelegentlich einmal ein Stuhl knarzt. Sonst bleibt nur, es Glenn Gould gleich zu tun und dem Konzertbetrieb insgesamt abzuschwören. Ich für meinen Teil werde im Vorgriff darauf jedenfalls künftig auf den Besuch von Keith-Jarrett-Konzerten verzichten.

  • AH
    Adrian Hanack

    Ich war da. Fand es grossartig.

    Für solche Artikel muss man sich wirklich schämen. Man kann nur hoffen, dass Jarrett diesen Text nicht übersetzt kriegt.

     

    Wer den Meister so runtermacht, hat wohl keine Ahnung.

     

    Der Pianist hat sein erstes Stück selbst erstickt.

    Es ist seit mehreren Jahren bekannt, dass bei Jarretts Soloauftritten Ruhe ist.

     

    Aber was soll man von der *** schon erwarten

  • FH
    Frank Heckert

    Ob das Publikum denn wirklich so zufrieden und glücklich ist, wie uns Herr Lehde Glauben machen will ... ich habe da so meine Zweifel. Denn auch ich war einer der über 2.500 zahlenden Gäste. Unterm Strich bleibt für mich folgendes Fazit: Jarrett ist ohne Zweifel einer der größten Pianisten unserer Zeit - und er hat in der Tat bewundernswert gespielt. Aber den Mund hätte er halten sollen, denn seine Persönlichkeit ist offenbar weit weniger ausgereift als seine virtuosen Fähigkeiten an den schwarzen und weißen Tasten. Durch seine dümmliche, weil weltfremde Publikumsbeschimpfung hat er jedenfalls dafür gesorgt, dass viele das Konzert nicht mehr entspannt genießen konnten. Schade drum. Vielleicht sollte er künftig nur noch im Studio spielen. Denn: Pianos husten nicht.

  • WB
    wanja belaga

    war bei dem konzert nicht zugegen.

    die angeführten aufnahmen kenne ich nicht bis auf das köln konzert. besitze weitere drei cd´s mit live-solo-aufnnahmen mit jarret aus verschiedenen zeiten.

    was bleibt mir übrig als zu sagen:

    man hört einen enorm begabten und manuel hervorragend eingestellten improvisator mit belnagloser schnulzenmusik jenseits aller geschmackssgürtellinien.

    keine ahnung was dieser hype um diesen musiker soll.

    habe heute den artikel in der faz gelesen mit dem tenor exzentrisch aber ein genie und in der süddeutschen mit etwas abgeschwächten termini.

    bin kein kritiker, aber musiker.

    mit verlaub, liebe jarret fans, wenn ein musiker mich in 4 seiner berühmten platten es schafft zu langweilen und fast zum übergeben zu bringen, dann verliere ich die lust weiter nachzuforschen.

    beste grüße aus münchen, wanja belaga.

    ebenfalls ein angehender improvisator am klavier

  • NB
    Niels Bünning

    Peng! Die Möglichkeit der Abrechnung wollte sich Broecking wohl nicht entgehen lassen. Legitim sich dabei u.a. auf sein Spezialgebiet, die bemerkenswerte Darstellung der gesellschaftlich und künstlerisch-ästhetisch widrigen Bedingungen afroamerikanischer Musiker zurück zu ziehen. Allerdings wirkt der "Jarrett-Marsalis-Konflikt" im Kontext dieser Konzertkritik deplatziert. Jarrett bittet um das Einhalten einfacher Regeln und Wünsche wie sie im Kulturbetrieb üblich und nachvollziehbar sind. Keine Mitschnitte, keine Photos, keine Hustenattacken. So what? Merkwürdig, dass nach seiner Belehrung im ersten Set die enorm störenden Hustenanfälle deutlich zurück gingen und dies nicht, weil Hüstler den Saal verließen. Jarrett belehrt oberlehrerhaft. Das nervt tatsächlich. Bleibt aber aus, wenn die Wünsche respektiert werden. Im übrigen, schon 'mal eine John Zorn-Attacke in dieser Hinsicht erlebt? Mein lieber Scholly! Da gehe ich in Deckung! Broecking mag Jarrett und seine Musik nicht (mehr). Vielleicht verurteilt er aber auch den Kulturbetrieb der dahinter steht. Besonders in Deutschland verkommt solch ein Ereignis zu einem gesellschaftlichen Pflichttermin, nicht zu einem musikalischen Ereignis, wie Tage zuvor in Budapest erlebt. Es ist halt schick zum Jarrett zu gehen. Da hört man einiges im Foyer. " Ist das nicht der, der so herrlich grunzt?" "Clayderman gefällt mir besser!" Oder beim Essener Trio-Konzert im Juli dieses Jahres: " Im Jatz sitzt ja immer ein Neger am Schlagzeug." (Krupp-Saal!) Michael Naura sprach einst von "angegriffenen society-Bienen." Wunderbar! Im Vorfeld wird schon fast boulevardesk gemutmaßt: Wird er schimpfen? Wird er abbrechen, wie beim letzten Solo-Aufritt in München '92 ? Wird das Konzert veröffentlicht? Die musikalische Qualität an diesem Abend hinterlässt einen ambivalenten Eindruck. Die bisherigen Rezensionen bejubeln das Konzert. Ausnahme: Broeckings niederschmetternder Verriss. Beiden Polen kann ich nicht folgen. Bleibt noch die Heidkampsche Zeitansage abzuwarten und dann 'mal sehen!

    Zu guter letzt: Dem Vernehmen nach hat sich Reich-Ranitzki prääächtig amüsssiert! Na immerhin!

  • BL
    Burkhard Lehde

    Das Publikum ist zufrieden und glücklich; was bleibt also dem Kritiker, wenn die Profilierungssucht seine Gelassenheit bei weitem übersteigt: Er musss niedermachen!

     

    Aus diesem Blickwinkel ein netter Versuch - aber hilflos.