: Keine schöne Leich
Am Schauspielhaus hat Franz Xaver Kroetz’ „Bauern sterben“ Premiere
Nun also „Bauern sterben“: Ein Stück über die Frage, was Heimat sein kann, über Flüchtlinge. Ein Bauerntheater und eine Passionsgeschichte. Vor zwanzig Jahren geschrieben und erstaunlich gegenwärtig. Aller Grund also, erwartungsvoll auf die Bühne des Bremer Schauspielhauses zu blicken: Dort sitzt eine Bauernfamilie – Eltern, Sohn und Tochter – gemeinsam am Tisch, hinter ihnen ein großer Kruzifix und neben ihnen die Großmutter regungslos vor dem Fernseher. In dieser Familie steht es nicht zum Besten, das ist schnell klar und ebenso klar ist, dass es um das Bayerisch der Schauspieler nur mäßig gut bestellt ist. „Bullenmast“ fordert der Sohn, aber der Vater beharrt auf den Milchkühen und dem „Milligeld“. „Alles mei, alles mei“, wiederholt er mechanisch, während ihm plötzlich das Blut aus den Achselhöhlen spritzt. Er besudele die Milch, greint die Familie und drängt die Großmutter, den Boden aufzuwischen. Aber die ist unbemerkt vorm Fernseher verstorben.
Beim „Bauern sterben“ geht es grob zu: Im Innern dieser Familie, die nichts miteinander verbindet und genauso derb verfährt Kroetz in der Wahl der dramatischen Mittel. Der Machtkampf zwischen den Generationen endet abrupt mit dem Tod des Vaters, der sterbend seine Frau erstickt und mit ins offene Grab zieht. Das sind Szenen, deren brutaler Trostlosigkeit sich der Zuschauer nicht entziehen kann. Es gibt großartige Momente in diesem Stück und mit diesen Schauspielern. Wenn die Tochter, gespielt von Franziska Schubert, auf der Toilette eine Fehlgeburt hat und die blutigen Hände betrachtend murmelt: „Du versäumst nichts, glaub mir’s“. Wenn Hans-Werner Leupelt als Vater das Kruzifix befingert und ruft: „Du stehst auf meinem Boden“.
Aber schon beim Aufbruch der Kinder in die Stadt geht diese Unmittelbarkeit verloren. Eindrücklich ist dann vor allem der Gestank des Traktors auf der Bühne, aber weniger das Gebaren der Schauspieler. Der Jungbauer, den man auf dem Weg überfahren, stirbt mit einem Schrei aus der Requisite, und warum Thomas Ziesch als Sohn ausgiebig auf der Bühne duscht, bleibt undurchdringlich. Für die Verlorenheit der Geschwister hätte man sich von Regisseur Jasper Brandis interessantere Bilder gewünscht als die gegen einen Balken gedrückte Stirn.
So verfolgt man den Abstieg der Geschwister zu Alkohol und Prostitution recht distanziert – obwohl bei Franziska Schubert das Ver-rückte des Flüchtlings immer wieder aufblitzt, trotz der verstörenden Beiläufigkeit, mit der Matthias Kleinert die Grausamkeit ihres Freiers aufscheinen lässt. Am Ende kehren die Geschwister in die Heimat zurück – ob sie dort mehr finden als den Tod, lässt das Stück offen. Die Bremer haben es mit freundlichem Beifall aufgenommen, nur ein Herr buht, bis ihn seine Frau zurechtweist. grä
Nächste Aufführung: 24.4., 20 Uhr