piwik no script img

Keine Sentimente

■ Singer, Songwriter und Schauspielerin: Mai Horlemann ist in die erste Garde der Berliner Kleinkunstszene vorgerückt

Worauf soll sich eine Sängerin lasziv räkeln, wenn kein ausladender Flügel auf der Bühne zur Verfügung steht? Mai Horlemann löst das Problem auf ihre Weise: Sinnlich-spießig an ein Sofakissen geschmiegt, würzt sie den Vortrag eines zarten Liebesliedes mit dem parodierten Pathos einer Bühnendiva.

Aber Diva im roten Scheinwerferlicht bleibt sie nicht lange. Im nächsten Song ist sie Hausfrau mit Putzfimmel, anschließend Schulmädchen, Zynikerin, Romantikerin und Komödiantin. Bei der vielseitigen Berliner Schauspielerin und Sängerin paaren sich melodische Musik und professioneller Gesang mit kabarettistischen Einlagen: „Ich habe nichts dagegen, wenn mir die Männer zu Füßen liegen“, erklärt sie ihrem Publikum zuckersüß. Und fügt trocken hinzu: „Hauptsache, sie bleiben auch da.“

Die 28jährige Mai Horlemann ist mit dunkler Stimme und schwarzem Humor in den vergangenen Jahren in die erste Garde der Berliner Kleinkunst vorgerückt. „Auf anderen Bühnen“, der neuen CD der Off-Szene, hat sie sich einen Platz neben Lokalgrößen wie Max Raabe, dem blonden Emil, Cora Frost und dem Duo Pigor & Eichhorn erobert. Poetisch- ironisch besingt sie „persönliche Probleme, die auf der Bühne aber auf keinen Fall wie persönliche Probleme daherkommen sollen.“

Als „undramatisch“ beschreibt die Sängerin ihre selbstverfaßten Songtexte. Nicht sentimental sein, das bedeutet für sie, „nicht in ein Gefühl verliebt zu sein“. Nur auf diese Weise, meint Mai, könne sie immer wieder „Illusionen mit Ironie zerstören“: Da wird die Sehnsuchtshymne an den Exfreund zum verzweifelten Schrei nach dem fehlenden Handwerker im Haus, und was der getäuschte Zuhörer zunächst für unbändige Lust an exotischen Liebesnesten hält, entpuppt sich als dringendes Bedürfnis nach dem gewissen Örtchen.

Begleitet wird die gebürtige Berlinerin von dem Pianisten und Komponisten Charly Henn. Seine jazzigen und rockigen Rhythmen machen manches Stück zu einem wahren Ohrwurm. In höchst romantischer Inbrunst schwelgt der Pianist mit klassischer Ausbildung beim doppeldeutigen Kondom- Lied: „Zieh dir was über, wenn du kommst“, weist Mai darin den Liebsten auf stürmisches Wetter hin.

Eigene Texte zu schreiben, das liegt der Tochter des verstorbenen Alt-68ers Jürgen Horlemann, Mitbegründer des Rote-Fahne-Verlags, im Blut. Als erfolgreiche Jungautorin hat sie jetzt den Text- Dichter-Preis der Gema erhalten. „Das mit dem Gesang“, fügt sie hinzu, „hat sich mit der Zeit so ergeben. Und plötzlich heißt es von allen Seiten: Das kannst du.“

Im deutschsprachigen Chanson – „ganz einfach drei Strophen und ein Refrain“ – habe sie ihre Form und Orientierung gefunden. „Damit bin ich mir selbst am nächsten. Mit englischen Texten habe ich endgültig aufgehört, als ich irgendwann nur noch im Lexikon blätterte.“

Der Schritt ins Rampenlicht vor fünf Jahren mit Mai Horlemanns damaligem Duo „Make a point“ schien fast vorprogrammiert: Eng befreundet mit der Familie von Volker Ludwig, dem langjährigen Leiter des Grips Theaters, seien ihr Gesang, Tanz und Selbstdarstellung vor Zuschauern schon früh selbstverständlich geworden. So zog es sie nach ihrer Schauspielprüfung im vergangenen Jahr denn auch auf die Musicalbühne: Vom derzeitigen Engagement beim Jugendmusiktheater „Strahl“ möchte Mai vorerst nicht lassen. „Da kann ich einfach nur Theater spielen, Verantwortung und Organisation für meine Soloauftritte abschütteln.“

Denn die seien bei dem „gewissen Chaos in der sehr lokalen und dichten Kleinkunstszene“ manchmal ganz schön anstrengend. „Die Künstler beeinflussen sich gegenseitig sehr positiv.

Trotzdem könnte die ganze Branche noch größer und professioneller werden“, findet Mai: „Der Berliner Off-Szene fehlt ein besseres Management.“ Ulrike Heesch

Kontakt Mai Horlemann unter Telefon 8512362.

Sie ist vertreten auf der CD „Auf anderen Bühnen“, Edition Berliner Musenkinder Nr. 01243, und hat ihren nächsten Auftritt am 30. August bei einer Aids-Benefiz-Veranstaltung in der UfaFabrik.

Im September geht's dann mit ihrem Soloprogramm „In letzter Zeit“ weiter im Schlot und im Grünen Salon.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen