■ Keine Machtkonzentration für grüne „Profis“, denn Missbrauch von Amt, Mandat und Macht ist menschlich: Ein demokratischer Leckerbissen
betr.: „Aufgebahrt und balsamiert“, taz vom 21. 3. 00
„Dabei sollte auf dem Bundesparteitag der Weg für professionelles Politikmanagement freigemacht werden, um die Wahldebakel der letzten Jahre zu beenden.“ Ich kann die Sprüche nicht mehr hören.
Micha Hilgers liefert genauso nicht ein stichhaltiges Argument für die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat, wie dies der Führungsriege meiner Partei in Karlsruhe gelungen ist. Wenigstens keines, das die Bündnisgrünen aus ihrem zunehmenden Akzeptanzproblem herausbringt und nicht nur die Egos und den Machtanspruch von Fischer, Trittin & Co. bedient. Das Ganze ist ein Hype, bei dem sich die „Promis“ und die Medien abwechselnd den Ball zuspielen.
Oder meint irgendjemand tatsächlich, die „Pannen“ mit den Panzern und den Hermes-Bürgschaften oder der viel zu langen 30-Jahre-Frist beim Atomausstieg hätten sich unter einem Bundesvorstand mit den Landtagsfraktionsvorsitzenden Kuhn/Künast nicht ereignet? Die Bündnisgrünen haben ein Profilproblem, ein Kommunikationsproblem im Raumschiff Berlin, kein Strukturproblem von der immer wieder von interessierter Seite beschworenen Art. Die „Profis“ haben mit ihren Mandaten schon genug zu tun. Und das ist ganz normal so. Mit einem zusätzlichen Parteiamt sollten wir sie auch in Zukunft verschonen. Micha Hilgers disqualifiziert sich schließlich vollends, wenn er als Beispiel für den Mangel an professioneller Parteiorganisation ausgerechnet anführt, dass es der Regie der Bundesdelegiertenkonferenz in Karlsruhe nicht gelungen sei, die Delegierten problemlos über den Regierungstisch zu ziehen. Diesen demokratischen Leckerbissen muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
HEINZ-LUDWIG NÖLLENBURG, Delegierter zur BDK in
Karlsruhe, Wiesenbach
Die Autoren suchen eine Lösung, aber sie finden leider nur das Problem. Dann schlagen sie das Problem als Lösung vor: Die Konzentration der Macht in der Partei, um die Konzentration der Macht in der Gesellschaft zu lösen. Irgendwie kommt mir diese Lösung aus dem letzten Jahrhundert bekannt vor. Wer schützt uns am Ende vor diesen Erlösungen und Erlösern?
REINHARD HUSS, Heidelberg
Wir haben uns leider damals 1979 in Sindlingen bei Höchst nicht kennengelernt, als wir, etwa 220 zukunftsgewandte Menschen, die „Sonstige Politische Vereinigung“ aus der Taufe hoben. Mit ihr beteiligten wir uns an der Europawahl und bekamen danach zum ersten Mal Steuergelder, 51 Mark je abgegebene Stimme. Ohne diesen Akt hätten wir die Grünen nicht auf die Beine stellen können.
Man muss diesen Prozess mitgemacht haben, um zu verstehen, welche Aufgabe sich die Grünen gestellt haben: für eine neue politische Kultur zu stehen. Und das heißt auch, die politische Bildung im Volk so voranzubringen, dass die parlamentarische Demokratie lebendig bleibt. So lange sich diese, von den Grünen vorgelebt, aus den Bewegungen speiste, ging ein erster Ruck durch Deutschland und Europa.
Nun, da das parteipolitische Personal in juristische Formeln gepresst ist, steht die Weiterentwicklung der Demokratie erneut in Frage. Es scheint, als ob an vielen Orten die Lokale Agenda 21 die Aufgabe übernimmt: Heranbildung einer Bevölkerung, die zu unterscheiden vermag zwischen „verträglich“ und „unverträglich“ auf den Gebieten des Sozialen, Ökonomischen und Ökologischen.
Politiker tun gut daran, und grüne Politiker erst recht, sich auf die reale Basis von Wohlstand = guter Befindlichkeit einzustellen. Auch der vermeintlich aufgeklärte industrielle Norden steht vor einer Dynamik, die das Mittelalter mit seinen Seuchen nicht kannte. Das Wissen um die menschliche Natur, und nicht nur diese, braucht dringend der Erweiterung. Darin bin ich mit Ihnen einig. Sonst wird sie es uns immer mehr in unliebsamer Weise zeigen.
GISELA CANAL, Ulm
[...] Wenn eine Politik ohne Machtmenschen „inhuman“ ist, dann würde mich sehr interessieren, was denn bitte schön menschlich ist? Meiner Meinung nach ist „Missbrauch von Amt, Mandat und Macht“ nur allzu menschlich, als dass dies durch den Gewinn einer vertrauensseligen Identifikationsvorlage ausgeglichen werden könnte. Allgegenwärtige Korruption, Kungeleien, Vorteilnahme von Politikern: alles „paranoide Befürchtungen“? Welches fragwürdige Politikverständnis spricht nur aus diesem Text? Wenn die demokratische Verfassungsordnung, auf die wir uns auch als Linke berufen, einen Sinn hat, dann doch den der Beschränkung dieser allzu menschlichen Charakterzüge! Der demokratische Verfassungsstaat bringt doch die Macht nicht erst hervor, zum Wohle aller, Gewalt und Macht sind bitte schön wesentlich älter als der demokratische Gedanke und orientieren sich ausschließlich an der unüberschaubaren Vielzahl der Einzelinteressen, Gruppeninteressen, Beziehungen, informellen wie institutionalisierten Strukturen. Verfassung und Gesetze können diese ja schon vorhandenen Machtstrukturen bestenfalls ausgleichen.
Die Grünen sind ein Teil dieses Machtdiskurses, der sich bisher dadurch auszeichnete, dass genau dieser zum innerparteilichen Meta-Thema und Gründungsmotiv wurde. Besorgnis erregend ist, dass dies nur noch durch eine Sperrminorität am Leben erhalten wird. Versucht die Partei sich nun weiter als ganz normale Partei zu etablieren, beseitigt sie ihren fundamentalen Oppositionscharakter.Denn es gilt wie eh und je: Alternative Politikansätze sind einem konstitutionellen, bürgerlichen Gesetzesverständnis fundamental entgegengesetzt. Und wer Macht begrenzen will, dies vielleicht die Lehre aus den realsozialistischen Versuchen, der darf sich selbst nicht ausschließen. [...] JOST GUIDO FREESE,
Düsseldorf
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