■ Bündnis 90/Die Grünen und der Vergewaltigungsparagraph: Keine Feministinnen weit und breit
Die Grünen weisen zu Recht darauf hin, daß sie die ersten im Bundestag waren, die die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellen wollten, und zwar schon 1983. Fünf Jahre später wurde das Anliegen von den Feministinnen innerhalb der Partei präzisiert: zwei Jahre Mindeststrafe bei Vergewaltigung in und außerhalb der Ehe, ohne Wenn und Aber. Damals kam es fast zur Spaltung der Partei, weil angesichts dessen, daß nun auch Ehemänner betroffen sein könnten, so mancheR die geltende Mindeststrafe von zwei Jahren auf ein Jahr herabsetzen wollte. Die Feministinnen konnten sich zunächst nicht durchsetzen, erst ein Parteitag brachte die Mehrheit wieder zur Räson.
Heute spielen die Feministinnen bei den Grünen keine Rolle mehr, und so sieht das Papier dieser Fraktion auch aus. Um der Frage des Strafmaßes zu entgehen, brachten sie keinen eigenen Gesetzentwurf ein, sondern begnügten sich am Mittwoch mit einem Antrag an den Bundestag. Anstelle der Widerspruchsregelung (CDU/FDP) und der Versöhnungsklausel (SPD) schlagen sie dort eine „Vollstreckungsklausel“ vor, die keineswegs harmloser ist als die Vorschläge anderer Parteien. Nach der Verurteilung soll von der Vollstreckung der Strafe abgesehen werden können, „wenn künftig das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Verletzten (...) gewahrt bleibt“. In der Begründung zum Antrag wird die Katze dann aus dem Sack gelassen: Es geht um „Tätertherapie“.
Eine solche Regelung gibt es bereits im Betäubungsmittelgesetz, wo die Vollstreckung einer Strafe zurückgestellt werden kann, wenn eine Suchttherapie begonnen wird. Mit der Übertragung dieser Regelung auf Vergewaltiger setzen die Grünen ein völlig falsches Zeichen. Vergewaltigung ist im Gegensatz zur Betäubungsmittelsucht keine individuelle Krankheit, sondern eine Verhaltensweise, die von der patriarchalen Gesellschaft nur offiziell und in Ausnahmefällen nicht legitimiert wird. Wer Vergewaltiger „therapieren“ will, negiert die Alltäglichkeit solcher Verbrechen und vergißt, daß Vergewaltigung und Mißbrauch strukturelle Elemente der Gesellschaft sind.
Es ist zu befürchten, daß sich die Grünen nicht mit ihren markigen Worten über das Schreckliche einer Vergewaltigung, sondern gerade mit diesem Teil ihres Antrages durchsetzen. Straffreiheit kann dann mit „Therapie“ erkauft werden. Jutta Oesterle-Schwerin
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