■ Kein breites Bündnis gegen Ausländerfeindlichkeit: Eine Chance, leichtfertig verspielt
In Deutschland brennen seit Monaten flächendeckend Flüchtlingsunterkünfte und auch Menschen. Rechtsradikale Terrorgruppen und ein entfesselter Mob haben nach der deutschen Vereinigung dafür gesorgt, daß sich das „Gesicht“ dieses Landes der Weltöffentlichkeit als brutale Fratze präsentiert. Und das „andere Deutschland“ ballte bislang die Faust nur in der Tasche und reagierte mit ohnmächtiger Wut auf die Brandreden der Unionisten in Bonn, die im vorauseilenden Gehorsam dem Vertreibungsgeschrei des Pöbels gerne die legale Weihe verpassen möchten.
In Frankfurt/Main wurde die Chance, dem nicht mehr nur schleichenden Rechtsruck in dieser Republik ein gewichtiges „Nein!“ aller überzeugten DemokratInnen entgegenzusetzen, leichtfertig verspielt. Als in Frankreich die „Front National“ das Land mit ausländerfeindlicher Propaganda überzog, demonstrierten zweihunderttausend Menschen in Paris unter der Fahne von „SOS Rassismus“ gegen die neuen Rechten — und an der Spitze der Demonstration marschierten Staatspräsident Mitterrand und die Vorsitzenden der anderen Demokratischen Parteien sowie Mitglieder der Regierung. In Deutschland schafft es dagegen die „Linke“ nicht (mehr), eine ähnlich massive Demonstration gegen den gemeinsamen Gegner — und für den Schutz der bedrohten Flüchtlinge — zu organisieren. Parteipolitisch motivierte Eifersüchteleien, von Taktik geprägtes Beharren auf Positionen und aus der politischen Steinzeit resultierende Berührungsängste verhindern, daß es am Wochenende in Frankfurt/Main zu einer ähnlich wirkungsvollen Demonstration wie vor zwei Jahren in Frankreich kommt. In Deutschland nichts Neues: Die „Traditionslinke“ aus Sozialdemokraten und Gewerkschaftern geht am Freitag auf die Straße — die Grünen und die parteipolitisch unabhängigen Organisationen demonstrieren am Tag der deutschen Einheit für die multikulturelle Vielfalt.
Dabei wäre alles so einfach gewesen: Die Grünen hätten nur auf die Passage mit dem Art. 16 im Aufruf verzichten müssen. Und die Sozialdemokraten und die Gewerkschafter hätten mehr Vertrauen in die Flexibilität ihrer Mitglieder setzen und die geplante Demonstration um nur einen Tag verschieben müssen. Aber das Einfache ist in diesem Land schon immer das Komplizierteste gewesen. Die schwerfälligen Apparate der Parteien, die komplexen Entscheidungsstrukturen etwa bei den Gewerkschaften verhindern ständig die Sprünge über die eigenen Schatten. Bleibt zu hoffen, daß sich die „Linke“ bis zur geplanten zweiten bundesweiten Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus in Bonn ihrer gemeinsamen Verantwortung bewußt wird. Klaus-Peter Klingelschmitt
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