: Kein armer Verwandter
■ Privatisierung und Protektionismus sollen das Kino retten: Russische Filmregisseure unterstützen Jelzin im Wahlkampf
„Wir wünschen uns Ihren Sieg in der Präsidentschaftswahl, weil es das Beste für Rußland wäre. Wir hoffen, daß die demokratische Reform des Marktes, die Sie begonnen haben, weiterverfolgt wird, weil es genau das ist, was unser Kino braucht.“ Diese ehrerbietige Botschaft an den nicht unbedingt für seine Cinephilie bekannten Boris Jelzin verfaßte eine Gruppe russischer Regisseure, die sich „Kinoforum“ nennen, im Rahmen des Filmfestivals in Sotschi am Schwarzen Meer. Das russische Kino könne zwar nicht auf staatliche Hilfe verzichten. „Aber es muß gleichzeitig in der Lage sein, auf dem Markt, der nun dieses Land regiert und der das Kino bislang links liegengelassen hat, zu bestehen.“ In dringenden Worten wird die Privatisierung des Kinos gefordert, denn nur sie würde ihm erlauben, dem Staat nicht als „ein armer Verwandter, sondern als Partner“ gegenüberzutreten. Bemerkenswerterweise steht an erster Stelle im anschließenden Forderungskatalog, es solle eine Zollschranke gegen ausländische Filme und energisches Einschreiten gegen Videopiraterie geben. Der Filmemacher Pavel Lounguine bemerkte in einer Pressekonferenz: „Nun, früher hat man sich an die Komsomolzen [kommunistische Jugendorganisation] gewandt. Heute muß man sich an die Mafia halten, wenn man zu irgendwas kommen will.“
Ein Kollege von ihm, Alexei Guerman („Chrustschow“), ergänzte entnervt: „Wenn Sie hier den Fernseher einschalten, gerade während der Präsidentschaftskampagnen, haben Sie den Eindruck, dem russischen Kino ging es nie besser. Es gibt überhaupt nichts anderes mehr als russisches Kino. Und mit ihm kommt die Rhetorik der Bolschewisten zurück.“
Bitter reagierten die Regisseure auf die Frage, wie denn das russische Kino, dem es trotz dieser starken Fernsehpräsenz nicht gut geht, in diese Lage geraten ist. „Unter den Kommunisten“, so Guerman, „gab es zwei Arten von Regisseuren: die Opportunisten und die ,künstlerische Intelligenzija‘, die ständig zensiert und schikaniert worden ist. Unter Gorbatschow haben diese Leute – dazu gehören Tarkowski, Askoldow, Sokurow, Mouratowa und ich – die Regierung unterstützt, und dem Kino ging es gut. Lag das daran, daß die Kassen der Partei klingelten, daß das Land ausgebeutet wurde oder daß es einfach kaum Möglichkeiten gab, Kapital außerhalb Rußlands anzulegen?“
Guerman mag zu Romantisierungen der damaligen Lage neigen, fest steht aber, daß in den Moskauer Leninstudios ständig gedreht wurde. Die Regisseure von „Kinoforum“ erinnern sich noch gut an den Einzug der ersten ausländischen Regisseure („dann kamen die Fremden“), die nirgends so billige Studios finden konnten. Entrüstet verweist „Kinoforum“ auf die leeren Leninstudios, in denen bestenfalls noch eine US-amerikanische Billigversion von „Anna Karenina“ produziert wird. „Wenn Sie heute hier drehen wollen“, so Lounguine, „fragt Sie keiner mehr, worum es in Ihrem Film geht. Nur noch: Wieviel Dollar kostet es? Die Mittelmäßigkeit amerikanischer Billigfilme und die selbstverliebte Blindheit unserer Regisseure sind es, die das russische Kino ruiniert haben. Wenn Spielberg patriotische Filme machen kann, warum können wir das nicht? Warum hat niemand die Werke von Solschenizyn oder Dombrowski verfilmt?“
Die Zunahme russischer Fernsehfilme mit „bolschewistischer Rhetorik“ und Ästhetik erklären sich die Autoren der Resolution mit der Abneigung der zuständigen Stellen gegen amerikanische Filme und die Tschernouka, die russischen Melodramen, andererseits. Was gewünscht wird, sei vielmehr wieder: „Was ist das für ein schönes Land, wie ist das Leben schön!“ – die Renaissance der SozArt. Mariam Niroumand
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