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Kein Zauber mit Glimmer, Glitter und Lichteffekten

„Once more!“ ruft einer aus der Meute der Fotografen. Zwei Frauen posieren am Trapez. „Geh aus dem Weg, du stehst im Bild!“, herrscht ein anderer die Zirkusdirektorin Barbara Vieille an. Man benimmt sich, als hätte man den Zirkus soeben gekauft. Fototermin auf dem Gelände der Hamburger „Kampnagelfabrik“, wo der „Cirque de Barbarie“ gastiert. Die Frauen sind soeben aus Paris angekommen, wirken müde und abgespannt. Nur mühsam scheinen sie sich in ihre Kostüme zu zwängen, ihre Körper in Pose und ihre Gesichter in das erforderliche breite Lächeln zu werfen. Der „einzige Frauenzirkus der Welt“ verkauft sich nicht anders als andere. „Da mußt Du drüberstehen“, sagt mir Barbara Vieille am Tag darauf, „wir müssen an die Menschen denken, die die Zeitungen lesen und zu uns in den Zirkus kommen“. Barbara Vieille, 33, Mutter einer dreijährigen Tochter (die sie auf der Tournee begleitet), vor mals Trapezkünstlerin in einem traditionellen Zirkus, läßt keinen Zweifel an ihrer Funktion als Direktorin, Managerin und Regisseurin des „Cirque de Barbarie“. Sie ist es, die die Truppe zusammenstellt, die Frauen (“Les filles“ - die Mädchen - sagt sie) engagiert oder entläßt und das finanzielle Risiko des Zirkus trägt. 1981 gegründet, ist die Truppe seit Mitte Mai mit ihrem zweiten Programm in Frankreich, Holland, der Schweiz und Süddeutschland auf Tournee. Nur zwei von den zehn Frauen sind von Anfang an dabei - aber vom Austausch der Artistinnen lebt der Zirkus nun mal. Barbara Vieille spielt ihre Rolle auch abends in der Vorstellung in verblüffender Offenheit aus. Eine der ersten Nummern zeigt sie als Dompteuse mit der Peitsche über ihrer Truppe in Barbarinnenkostümen. Bilder, die Befremden erzeugen und nicht zur schnellen Verschwisterung mit den Akteurinnen aufrufen. Das aber fasziniert mich auch: Hier wird nicht mit der großfamiliären Atmosphäre des Alternativzirkus operiert und auch nicht versucht, mit Glimmer, Glitter und Lichteffekten das Publikum zu „verzaubern“. Nicht nur poetisch und intim, sondern auch wild und ungezähmt solle ihr Zirkus sein, hatte Barbara gesagt. Jetzt zeigen die Frauen vor allem traditionelle Zirkuskünste, verpackt in ein Programm, das mit den verschiedensten Frauenbildern und -klischees spielt. Witzig und merkwürdig, ironisch und gelegentlich auch völlig mit Symbolen überladen. Jeann dArc als Mackerfau im Kettenhemd verbrennt auf dem Scheiterhaufen, fünf quäkende Babies müssen mit riesigen Schnullerflaschen befriedet werden, die Waschmaschine macht aus der wilden Frau den perfekten Blaustrumpf, vier Chinesinnen im Blaumann exerzieren im Gleichschritt in der Zirkuskuppel, Marilyn Monroes Rock fliegt im Luftstrom eines Staubsaugers (und Marilyn selbst fliegt atemberaubend am Trapez durchs Zelt). Schwarzer Humor kommt zum Tragen, wo die Zauberin vor allem die Nerven ihrer (männlichen) Opfer aus dem Publikum strapaziert. Für Ausgleich sorgt eine wunderbare dumme Auguste, die sich immer wieder einmischt, mitspielen will bei den großen Artistinnen und sehr schöne Überleitungen zwischen den einzelnen Nummern schafft. Denn es bleibt ein Programm von Einzelnummern einzelner Frauen, die nur lose aneinandergeknüpft sind und eher Variete– als Zirkusatmosphäre verbreiten. Das entspricht auch eher der Arbeits– und Lebensweise der Truppe: Ohne eigenes Zelt und Wagen sind sie - etwa die Hälfte des Jahres - auf Tournee, übernachten in Hotels und suchen sich ihre Spielstätten in gemieteten Zelten oder auf festen Bühnen. Daß der Zirkus keine Tiere hält und der „technische Stab“ auf zwei Männer reduziert bleibt, ist wohl auch der Grund dafür, daß die Finanzen stimmen. Nicht lieb und gefällig, sondern selbstbewußt und perfekt in ihrem „Fach“ präsentieren sich die zehn Frauen. Kein Bild vom „alternativen Frauenkollektiv“ - aber neue, andere, überraschende Bilder von Frauen. Das Hamburger Premierenpublikum am Mittwochabend war begeistert. Irene Stratenwerth

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