Wir lassen hören: Kein Witz, kein Dope
■ Jamaikas Bobfahrer singen, vermarkten sich aber nicht mehr als lustige Exoten
Vergeßt Snowboard, vergeßt Freestyle-Ski! Viererbob ist der wahre Funsport in Nagano. Dort tummelt sich ein buntes Völkchen, das teilweise zuvor noch nie ein Schneeflöckchen zu Gesicht bekommen hat. Der Grund: Weil der internationale Verband um die Olympiazulassung fürchtete, sorgte er mit finanzieller und personeller Unterstützung dafür, daß genügend Länder das teure Sportgerät in den Eiskanal schieben.
Die Jamaikaner gehörten 1988 zu den Pionieren dieser Entwicklung. Mit „Cool Runnings“ hat der Disney-Konzern Devon Harris, Jason Morris, Dudley Stokes und Owen Miller verewigt und nebenbei nicht schlecht verdient. Auch wenn es zwar „ein unterhaltsamer Film war“, wie Stokes meint, „aber mit unserer Geschichte nichts zu tun hatte“.
In Nagano ist der Eddie-Edwards-Faktor weg, den mußte man abgeben an Prinz Albert von Monaco, Puerto Rico und die Jungferninseln. Trotzdem „glauben die Leute, wir sind ein Witz“, hat Stokes festgestellt. Dabei sind die Jamaikaner unter den sogenannten Exoten die ersten, die erklärtermaßen vorhaben, an die Weltspitze heranzufahren. Offensichtlichstes Indiz dafür ist der Trainer: Der jamaikanische Viererbob wird von keinem Geringeren als Gerd Leopold gecoacht, ehemals Cheftrainer in der DDR und für fünf Jahre im wiedervereinigten Deutschland, aber 1995 wegen Stasivergangenheit ausgebootet.
Der Mann, allgemein eingeschätzt als bester Bobtrainer der Welt, brachte nicht nur Trainingsmethodik mit, sondern auch einen Schlitten. Das alte Gefährt des Risaer Olympiasiegers Czudaj ist zwar nicht mehr auf dem allerneuesten Stand, aber immer noch schneller als
der bisherige jamaikanische Bob. Nicht überliefert ist, was Herr Leopold von der CD „Positive Runnings“ (Lowdown Records) hält. Die Jamaikaner haben sich auf der Suche nach neuen Vermarktungs- und Promotionmöglichkeiten eine durch und durch niedliche Reggae-Platte vollsingen lassen, deren Erlöse zum Teil der Finanzierung der jamaikanischen Unternehmung zugute kommen. Auf dem Werk findet sich mit Gregory Isaacs sogar ein prominenter Name. Der Rest ist ebenso eilig wie souverän produzierter Reggae, der ein paar Ausflüge in den Dub wagt, aber schon mit Dancehall seine Probleme hat. Dafür werden ein paar genrefremde Klassiker wie „Teach The Children“, „Another One Bites The Dust“ oder „I Will Survive“ in den Reggae übersetzt. Kurz, das massenkompatible Spektrum des Offbeats wird abgedeckt, und es gibt wieder einen Grund, über Bob Jamaica zu reden.
Bei ihrem Debüt in Calgary waren sie schon überraschende 22. von 31 Teams geworden, vor vier Jahren sprang schon der 14. Platz geraus. Nach dem gestrigen Lauf in der Spirale von Iizuna Kogen lagen sie aber nur auf Rang 21. Da muß man heute morgen noch zulegen. Der Platz ist zwar nicht richtig schlecht, aber längst nicht gut genug für ihre gestiegenen Ansprüche und die geänderte Marketingstrategie, durch eine olympische Top-10-Plazierung neue Sponsoren anzuziehen.
Es hat sich wirklich viel geändert: Falls in Nagano ganz zum Schluß heute noch ein Bobfahrer mit Marihuana im Blut erwischt werden sollte, ist nicht anzunehmen, daß es ein Jamaikaner gewesen sein wird. Dazu sind die inzwischen viel zu professionell geworden. Thomas Winkler
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