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Kein Vertrauen in Ruanda

Die französischen Truppen sind aus der „Schutzzone“ in Ruanda abgezogen. Die neue Massenflucht nach Zaire nährt die Angst vor einem zweiten Goma.

Hier entscheidet sich das Schicksal Ruandas“, sagt Wendy Driscoll von der Hilfsorganisation Care. „Hier“ – das ist die Brücke über den Ruzizi. Hier führt die Straße von Cyangugu in Ruanda nach Bukavu in Zaire über den Grenzfluß. Hier drängen sich Zehntausende Ruander am Flußufer und beschimpfen die zairischen Fallschirmjäger auf der anderen Seite.

Seit Samstag 14 Uhr kommt hier niemand mehr durch. Mit Warnschüssen vertreiben die Zairer Näherkommende von der Brücke. Wer durch den Fluß schwimmt, wird zurückgeschickt. Etwa 85.000 Ruander, die bisher in der französischen „Schutzzone“ im Südwesten Ruandas lebten, hatten bis zur Grenzschließung die Brücke überquert; 15.000 waren noch zurückgeblieben – und immer neue kommen seither dazu. Sie wollten eigentlich ihr Land verlassen, bevor sich die „Schutzzone“ hinter ihnen in Luft auflöst. Zu spät: Gestern mittag übergab der letzte französische Kommandant in Cyangugu das Kommando an seinen äthiopischen Nachfolger von den Vereinten Nationen.

Die erste Aufgabe, die die Franzosen den äthiopischen Blauhelmen überlassen hatten, war die Aufrechterhaltung einer Straßensperre vor der Brücke über den Ruzizi. Damit wurden die UN-Soldaten nicht fertig, woraufhin die Menschenmengen am Fluß anwuchsen und die Spannung bis hin zu den zairischen Warnschüssen eskalierte. Danach erklärte sich Zaire auf Drängen des UN- Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) bereit, einen anderen Übergang 20 Kilometer entfernt zu öffnen.

Im Juli waren binnen weniger Tage über eine Million Ruander in die zairische Stadt Goma geflohen; nach neuesten Schätzungen sind davon mittlerweile 43.000 an Krankheiten gestorben. Ein „zweites Goma“ in Bukavu würde Zaire, die UNO und die Hilfsorganisationen völlig überfordern. In Bukavu leben schon 350.000 Flüchtlinge. „Obwohl wir die zairischen Sorgen verstehen, hätten wir es aus humanitären Gründen bevorzugt, wenn die Grenze geöffnet geblieben wäre, aber wir glauben auch, daß es diesen Flüchtlingen in Ruanda besser gehen würde als in Lagern in Zaire“ – mit diesem Sowohl- Als-auch umschrieb UNHCR- Sprecher Ray Wilkinson die Lage.

Das UNO-Welternährungsprogramm WFP richtet jetzt Suppenküchen an der Grenze ein. Doch nach dem Abzug der Franzosen kann die UNO jetzt nicht nur humanitär tätig sein, sondern sie muß die von den französischen Militärs geschaffene „Schutzzone“ komplett übernehmen – ein „Niemandsland“, wie die Hilfsorganisation „Médecins sans frontières“ es ausdrückt, ein quasi exterritoriales Verwaltungsgebiet mit etwa einer Million Einwohnern, zu dem Ruandas neue, von der früheren Guerilla RPF (Ruandische Patriotische Front) beherrschte Regierung bisher keinen Zutritt hat.

Sollten jetzt Hunderttausende Ruander aus der Zone fliehen – es wäre für die UNO eine Demütigung. Aber nicht einmal die Franzosen haben die begonnene Flucht verhindern können. Der UNO trauen die Ruander noch weniger zu: Als im April die Massaker begonnen hatten, waren die UNO- Blauhelme erst einmal abgezogen.

Unter den Flüchtenden sind zwar auch Anhänger des alten ruandischen Regimes, die jetzt die Rache der RPF fürchten. Aber die Flucht nach Bukavu, wie die nach Goma, entspringt vor allem einer Massenpanik: Immer mehr Ruander kennen jemanden, der gehört hat, wie jemand sah, daß die RPF jemanden umbringt. In Bukavu haben verletzte ruandische Flüchtlinge ausgesagt, RPF-Truppen hätten am 4. August im Virunga-Wald in Nordwest-Ruanda 150 Menschen hingerichtet; das UNHCR will die Vorwürfe jetzt untersuchen. Eine Delegation von amnesty international, die kürzlich Ruanda bereiste, berichtete ihrerseits, Vorwürfe gegen die RPF könnten weder bewiesen noch widerlegt werden. „Zeugen etwaiger Verbrechen waren entweder geflüchtet oder hatten Angst“, sagte ein Delegationsmitglied.

Die UNO hofft, Vertrauen zu schaffen, indem sie eine Übernahme der „Schutzzone“ durch die neue Regierung hinauszögert. Etwa 2.000 UNO-Blauhelme sind in der Zone stationiert: Äthiopier um Cyangugu, Ghanaer um Gikongoro, nördlich davon Truppen aus Tschad sowie Senegal, Guinea, Niger und Kongo. Vereinbart ist, daß für zunächst zwei Monate keine RPF-Soldaten in die Zone einrücken, sondern nur zivile Regierungsbeamte. UNO-Generalsekretär Butros Ghali empfahl in einem Brief an den Weltsicherheitsrat am Freitag eine UNO-Präsenz in Ruanda „auf Jahre hinaus“.

Um Vertrauen zu schaffen, muß auch sichergestellt werden, daß die RPF keine Menschenrechtsverletzungen begeht. Menschenrechtler verweisen darauf, daß Racheakte die Aufklärung des Völkermordes an 500.000 Ruandern durch das alte Regime nicht vorantreiben, sondern erschweren. Amnesty fordert die verstärkte Entsendung von UNO-Menschenrechtsbeobachtern nach Ruanda, so daß es eine „sichtbare Präsenz“ in jeder ruandischen Gemeinde gäbe.

Daß Ghali in seinem Brief auch schreibt, in Ruanda herrschten „Banditentum und Chaos“, dürfte aber weder die Regierung freuen noch den Fluchtwillen dämpfen. Eine Niederlage hat die UNO schon einstecken müssen: Die Schweiz hat Felicien Kabuga, wegen Völkermordes gesuchter Direktor des hetzerischen ruandischen Rundfunksenders „Radio Mille Collines“, ins für ihn sichere Zaire ausgewiesen. Dominic Johnson

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