: Kein Spielraum mehr
Die Filmhistoriker Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich versuchen sich an einer Biografie des großen Filmregisseurs Konrad Wolf. Auch wenn sie sich oft auf neue Dokumente stützen können, werden sie seinem Leben und Werk nicht gerecht
VON BENJAMIN WEINTHAL
Eine Biografie von Konrad Wolf zu schreiben ist eine ziemliche Herausforderung. Er war nicht nur „ein Russe, der ein Deutscher“ gewesen ist, wie er einmal schrieb. Er war darüber hinaus der Sohn des jüdischen Schriftstellers, Kommunisten und Arztes Friedrich Wolf. Geboren 1925 in Hechingen (Württemberg) musste Konrad dann mit seiner Familie 1933 nach Moskau fliehen. Nach dem Krieg wurde er in der DDR zum wichtigsten Regisseur und Präsidenten der Akademie der Künste. Und dennoch blieb er sein Leben lang ein rätselhafter, zurückhaltender Mensch. Wie können ihm Biografen näher kommen?
Die Filmhistoriker Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich Filmhistoriker suchen eine Antwort in der Figur des Vaters Friedrich Wolf. Der erste Teil der Biografie Konrad Wolfs ist genau genommen eine Biografie seines Vaters. Es ist nicht zu bestreiten, dass Friedrich Wolf eine entscheidende Rolle bei der Erziehung von Konrad und seinem Bruder Markus, dem ehemaligen Chef der DDR-Auslandsaufklärung, spielte. Die Autoren vermitteln jedoch ein falsches Bild von Friedrich, wenn sie schreiben, er hätte sich entschieden, „Kommunist zu werden und deshalb die jüdische Identität zu verscharren“. Als ob man seine jüdische Herkunft wie eine Leiche begraben könnte. „Verscharren“ ist zudem im Zusammenhang mit jüdischer Identität eine äußerst fragwürdige Wortwahl.
Friedrich Wolf ist mit dem Judentum groß geworden und hat sich, als Hitler an die Macht kam, mit dem Thema Antisemitismus und Judentum in seinem berühmtesten Theaterstück, „Professor Mamlock“ (1933), auseinander gesetzt. Das Stück handelt von einem bürgerlichen jüdischen Arzt während der NS-Zeit und wurde 1961 von seinem Sohn Konrad verfilmt. Kurt Tucholskys Satz über seine jüdische Identität, „Ich bin im Jahr 1911 aus dem Judentum ausgetreten, und ich weiß, dass man das gar nicht kann“, galt für viele deutsche Juden während des Aufstiegs des deutschen Faschismus.
Friedrich Wolf hat sich von seiner jüdischen Herkunft nicht distanziert, vielmehr ging er in die Offensive. In seiner Beschwerde darüber, dass er nicht mit einer Gruppe antifaschistischer deutscher Schriftsteller von Moskau nach Deutschland reisen durfte, fragte er Stalin im Juli 1945: „Ist es, weil ich Jude bin?“
Friedrich Wolf war ein freier Geist. Er setze sich dafür ein, dass der deutsche jüdische Autor Stefan Heym 1952 in die DDR übersiedeln konnte. Schon im Jahr 1928, in einer Zeit des Kampfs gegen den aufstrebenden Faschismus, war er der Kommunistischen Partei beigetreten. Und bis zu seinem Tod 1953 blieb er ein humanistischer Sozialist. Wenn Jacobsen und Aurich meinen, Friedrich Wolf sei ein „kommunistischer Technokrat“ und „Diener der Partei“ gewesen, ist das eine sehr verkürzte Sichtweise.
Die Autoren können sich auch nicht von der Sprache des Kalten Krieges trennen, wenn sie Konrads Filme und sein Verhältnis zum DDR-Regime untersuchen. Sie halten Konrad Wolf für einen „Kulturfunktionär“ und schildern ihn als „filmenden Politiker“ statt als Filmregisseur. Obgleich Wolf zwischen 1965 und 1982 Mitglied des SED-Zentralkomitees und Präsident der Akademie der Künste war, nutzte er seinen Handlungsspielraum, um oppositionellen, alternativen Denkern und Künstlern zu helfen. Er setzte sich für die Rehabilitierung Walter Jankas ein, der an dem Film „Goya“ (1971) von Wolf mitarbeitete.
Konrad Wolf starb mit 56 Jahren am 7. März 1982 in Ostberlin. Die Schriftstellerin Christa Wolf veröffentlichte erst kürzlich ihre bisher unpublizierte Erinnerung an seinen Tod in der Zeit. Sie schrieb über das Spannungsverhältnis zur Machtpolitik der DDR, in dem Wolf sich befand, darüber, „dass er nicht mehr leben konnte und dass er in einem Moment gestorben ist, in dem er keinen Spielraum mehr hatte“.
Am 20. Oktober 2005 wäre Konrad Wolf 80 Jahre alt geworden. Er gilt als wichtigster Filmregisseur der DDR. Seine filmhistorische Bedeutung ist jedoch nicht auf das DDR-Kino beschränkt. Wolf ist einer der bedeutendsten internationalen Regisseure. Der Kassenschlager „Solo Sunny“ gewann 1980 den Silbernen Bären auf der Berlinale.
Den internationalen Durchbruch hatte Wolf jedoch bereits 1959 geschafft, als sein Film „Sterne“ in Cannes mit dem Sonderpreis ausgezeichnet wurde. In diesem Film wurde die Beziehung zwischen einer griechischen Jüdin und einem Wehrmachtsunteroffizier in einem bulgarischen Konzentrationslager thematisiert. „Sterne“ war einer der ersten Filme im Nachkriegsdeutschland, in dem die Ermoderung der europäischen Juden im Zentrum stand.
Zudem handelt „Sterne“ von Wolfs stets wiederkehrenden Filmthemen: von Schuld, Verantwortung, Denkmustern des Faschismus, dem Konflikt zwischen Loyalität gegenüber einer Gesellschaftsordnung und dem Recht auf Abweichung, vom Konformismus und dem Streit zwischen Macht und Geist. In bislang unbekanntem Material zu „Sterne“ haben Jacobsen und Aurich übrigens entdeckt, dass die Bundesrepublik damals versuchte, die Aufführung des Films in Cannes zu verhindern.
Wie hier haben die Autoren überaus wichtige und bisher unbekannte Informationen und Fakten über Konrad Wolf gesammelt; leider bieten ihre Interpretationen jedoch oft eine allzu vereinfachende Sicht. Konrad Wolf kommen sie damit nicht sehr nah.
Wolfgang Jacobsen, Rolf Aurich: „Der Sonnensucher. Konrad Wolf. Biographie“. Aufbau Verlag, Berlin 2005, 592 Seiten, 24,90 Euro