: Kein Schnaps aus der Ex-DDR?
■ Warum es in Nordhausen keinen „Nordhäuser Doppelkorn“ gibt/ Klausel im Einigungsvertrag treibt den Betrieb in den Konkurs/ Brennendes Interesse für östliche Branntweinmarken
die gleise fliehen
südwärts den harz
da flieh ich mit ganz vorn
in nordhausen gibts
einen guten schnaps
nordhäuser doppelkorn
S.Anderson
Von Rüdiger Rosenthal
Der Einmarsch der Marktwirtschaft macht reihenweise Ex-DDR-Betriebe kaputt, die Treuhandgesellschaft spielt treuherzig mit und „privatisiert“, was vorher mit vereinter Kraft in die Knie gezwungen wurde: Ein ganz delikates Beispiel dafür ist der frühere VEB Nordbrand Nordhausen.
Interesse am Klang der Namen scharfer Schnäpse
Die moderne Schnapsfabrik war vor der Wende ein Vorzeigebetrieb im südlichen Harzraum. Scharfe Schnäpse wie „Nordhäuser Doppelkorn“, „Urkorn“, „Alter Meister“ oder „Golden Beach“ sind seit langem begehrte Marken im Westen wie in den früheren DDR-Delikatläden. An diesen Alkoholmarken, eingeführt auf dem Markt und mit gutem Klang bei den VerbraucherInnen, sind bekannte Westfirmen interessiert, nicht jedoch an der Konkurrenz durch die zwei größten Brennereien in der ehemaligen DDR.
Die „freie Marktwirtschaft“ wirkte hinein in die Politik: Eine Extraklausel im deutsch-deutschen Einigungsvertrag legte fest, daß Schnapsbrennereien mit einer Jahresproduktion von mehr als hunderttausend Hektolitern reinem Alkohol „aus nachwachsenden Rohstoffen“ (gemeint ist Getreide) ihre Produktion auf ein Fünftel reduzieren müssen. Gültigkeit hat diese Festlegung nur für zwei Betriebe der alten DDR. Beschlossene Sache ist bereits, daß die Großbrennerei Dessau, die bisher eine halbe Million Hektoliter produzierte, Ende 1992 stillgelegt wird. Für die Brennerei des Nordbrand Nordhausen bedeutet die Festlegung im Einigungsvertrag früher oder später den Konkurs. 230.000 Hektoliter lieferte dieser Betrieb bisher pro Jahr aus.
Ein neues Limit und eine neue Produktionsstätte
Seit der deutschen Einigung sind 45.000 Hektoliter das obere Limit. Mit nur einem Fünftel seiner Kapazität kann die Firma jedoch nicht kostendeckend produzieren. Nordbrand Nordhausen mit seinen zwei Betriebsteilen „Trinkbranntwein“ und „Technischer Alkohol“ hat erst vor wenigen Jahren eine moderne Großbrennerei für technischen Alkohol, der vor allem für Reinigungszwecke eingesetzt wird, aufgebaut. Der auf einen Wert von 60 Millionen DM geschätzte Werksteil darf gegenwärtig nur mit halber Kraft arbeiten. Nach zehn Tagen Produktion liegt die Anlage drei Wochen still. Das treibt die Kosten hoch, das Endprodukt wird teurer und kann nicht mehr abgesetzt werden. Importe aus der BRD und Osteuropa stoßen in die Lücke.
Absurderweise entstand durch die Drosselung der Alkoholproduktion in der Ex-DDR ein Engpaß in der Versorgung der Wirtschaft mit technischem Alkohol. Die Nachfrage ist also da, darf jedoch aus eigener Kraft nicht gedeckt werden.
Die Westlobby macht Nordhausen den Garaus
Hinter diesem ganzen Dilemma steckt die Lobby der westdeutschen Alkoholbrennereien. Knapp 300 kleinere Betriebe erzeugen hier pro Jahr zusammengenommen lediglich die Hälfte an Alkohol wie die zwei genannten Großbetriebe der Ex- DDR.
In der EG wird die Alkoholherstellung subventioniert, deshalb gibt es auch staatlicherseits kein Interesse an einer erheblichen Erhöhung der Produktionsmenge. Bei der Ausarbeitung des Einigungsvertrages hatten BRD-Wirtschaftsberater gefordert, in den fünf neuen Bundesländern keiner einzigen Brennerei die staatlichen Brennrechte zu genehmigen.
Brennendes Interesse am früheren VEB Nordbrand Nordhausen zeigen jedoch große bundesdeutsche Vertriebsketten. Die Firma Peter Ekkes aus Niederolm („Ekkes Edelkirsch: Nur Küsse schmecken besser!“) hat bereits den Vertrieb der am Markt eingeführten Nordhäuser Schnäpse übernommen. Am jetzt unrentablen Betriebsteil Technischer Alkohol ist ihr jedoch nicht gelegen. Ein Ausweg wäre eine Trennung beider Betriebe: Ekkes Edelkirsch übernimmt die Schnapsstrecke und die moderne 60-Millionen-Großbrennerei produziert lediglich technischen Alkohol. Rentabel wäre das nur, wenn das jetzige Limit von 45.000 Hektolitern pro Jahr für den Gesamtbetrieb aufgehoben und die Produktion subventioniert würde.
Plausible Lösungen — Wer will sie hören?
Die Belegschaft des Werkes Technischer Alkohol sucht verzweifelt nach Lösungen. Hochmotivierte und -qualifizierte Facharbeiter und Laborassistenten drohen abzuwandern. In einem Briefwechsel mit dem „Minister ohne Geschäftsbereich“ und einem der Verhandlungsführer des deutsch-deutschen Einigungsvertrages, Günther Krause (CDU), und im Gespräch mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) schildern ihre Vertreter die verzwickte Lage.
Vorschläge für eine Umlenkung von staatlichen Stillegungsprämien für Getreideanbauflächen auf die Subventionierung der Technischen- Alkohol-Produktion liegen ebenfalls auf dem Tisch. Auch eine ökologisch sinnvolle Verwertung als Treibstoff in Alkoholmotoren könnte bald möglich sein (in Niedersachsen soll für genau 60 Millionen DM eine neue Spritfabrik gebaut werden). Mit einer Erhaltung des Produktionsstandortes Nordhausen wären nicht nur knapp 300 Arbeitsplätze und ein existierender moderner Betrieb gerettet, viele Landwirte der Südharzregion hätten ebenfalls Aussichten auf eine Zukunft.
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