■ Die Haltung des Westens zu Taiwan ist ein Mißverständnis: Kein Nicaragua in Fernost
Es gibt hinsichtlich der westlichen Haltung gegenüber China zwei politisch vertretbare Positionen. Die eine setzt auf die Einbindung Chinas, weil die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme der Welt unter Ausschluß des ärmsten und zugleich entwicklungsstärksten Fünftel der Menschheit unlösbar sind. Die andere befürwortet die Ausgrenzung Chinas, weil dort ein autoritäres Regime die Menschenrechte mit Füßen tritt. Die Taiwan-Krise hat in den letzten Tagen denjenigen größeres Gehör verschafft, die hierzulande eine Ausgrenzung Pekings für richtig halten. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Mit dem ersten frei gewählten Präsidenten der chinesischen Staatengeschichte, Taiwans Lee Teng Hui, scheint die westliche Anti-China-Bewegung einen neuen lokalen Helden gewonnen zu haben.
Lees plötzliche Popularität im Westen beruht freilich auf einem Mißverständnis. Mit ihm wählten die Taiwaner eben nicht einen Vorkämpfer für Freiheit und Menschenrechte. Für dieses Programm stand der Kandidat der taiwanischen Unabhängigkeitsbewegung, Peng Ming Min. Im Gegensatz zu ihm steht der alte und neue Präsident in der Tradition einer korrupten Regierungspartei, der Geschäfte stets wichtiger waren als Prinzipien. Wer am Samstag in Taipeh darauf hoffte, daß der Handel mit China schnell wieder in Gang kommt, ohne daß Taiwan das Gesicht verliert, wählte den siegreichen Lee. Taiwanische Menschenrechtsaktivisten aber stimmten für Peng – mit dem ausdrücklichen Mut zum Kriegsrisiko. Niemand auf der Insel zweifelte schließlich daran, daß der Sieg der Unabhängigkeitsbewegung Krieg bedeutet hätte.
Der unsäglichen Pekinger Manöverpolitik muß zumindest zugute gehalten werden, daß sie den Westen von Mißverständnissen bezüglich Pekings befreite. Nun wollen freilich weder Amerika noch Japan oder Europa für Taiwan in den Krieg gegen China ziehen – obwohl viele so tun, allen voran die US-Republikaner im Wahlkampf.
Die Gefahr besteht, daß Taiwan nicht von den Taiwanern, die letztlich für einen Kandidaten des Ausgleichs mit China stimmten, sondern von westlichen Wahlkämpfern und Aktivisten zu einer Bastion aufgebaut wird, um die dann gekämpft werden muß. Es wäre nicht das erste Mal, daß ein kleines Land das Opfer ideologischer Feldzüge würde. Nicaragua, das gegen Amerika keine Chance hatte, erging es einmal ähnlich. Georg Blume, Taipeh
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen