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Kein Leben im Paradies

Vom 8.3. bis 17.3. lädt das Metropolis zu maghrebinischen Bildern aus Frankreich: Sechs neue französische Produktionen franko-maghrebinischer RegisseurInnen  ■ Von Dorothea Grießbach

Für MigrantInnen zeigt sich die so genannte Mehrheitsgesellschaft meist bedrohlich, und selbst ein harmloser Briefträger kann zum Beispiel in den Augen eines algerischen Mädchens zum gefürchteten Mann des Gesetzes werden – nur weil er ein Käppi trägt. Daran erinnert sich die in Lille geborene Regisseurin Yamina Benguigi, die in ihrem international preisgekrönten Film Inchallah dimanche Migration zum Thema nimmt.

Benguigi wirft einen Blick zurück in die siebziger Jahre und stellt die Geschichte einer algerischen Frau ins Zentrum, die sich in Frankreich zurechtfinden muss und da-ran wachsen wird. Der Film ist eine Hommage der Regisseurin an ihre Mutter und andere Frauen, die fern von ihrem Herkunftsland leben müssen. War den Männern zumindest als Arbeitskräften und den Kindern als Schüler ein Aufenthalt in der Öffentlichkeit zuerkannt, blieben die Frauen meist unsichtbar und hatten die vielleicht schwerste Last zu tragen.

Obwohl die Migrationserfahrung längst nicht mehr das ausschließliche Sujet franko-maghrebinischer Regisseure und Regisseurinnen ist, durchzieht sie als Thema die Filmreihe. Gleichzeitig stellt sich auch ein neues französisches Kino vor, fünf der sechs Filme sind die ersten abendfüllenden Arbeiten der FilmemacherInnen. Zwar ist in Frankreich die Diskussion um ein cinéma beur verklungen, und selten locken franko-maghrebinische Produktionen das große Publikum in die Säle. Trotzdem können sie sich mittlerweile in der französischen Filmwelt behaupten.

Die Regisseure und Regisseurinnen werfen einen geschärften und manchmal unbequemen Blick auf den Alltag von MigrantInnen und stellen oft die Frage nach Identität oder einem angemessenen Platz in der Gesellschaft. Wie zum Beispiel in Abdel Kechiches Voltaire ist schuld: Im Hier und Jetzt erreicht der Tunesier Jallel Paris. Von seiner Vorgeschichte ist wenig zu erfahren, außer, dass sein in Frankreich verdientes Geld dem Rest der Familie in Nordafrika helfen soll. Doch gerade diesen Beweggrund darf er den französischen Behörden nicht vermitteln. In einer dichten Anfangssequenz legt sich Jalell darum flugs eine neue Identität zu. Kurzerhand erklärt er sich zum Algerier, der alle Papiere verloren hat und aus politischen Gründen flüchten musste. Der Trick gelingt, zumindest vorläufig. Doch die zugebilligten drei Monate laufen schnell ab. Und obwohl er sich dank skurriler Freunde und Freundinnen langsam „einnorden“ kann, wird er schließlich doch geschnappt.

Einen Blick auf die Situation der Sans Papieres wirft das Cinéastenpaar Zakia und Ahmed Bouchaalamit mit seiner bitteren Komödie Aus kontrolliertem Anbau. Allerdings ist es hier der Franzose Pat-rick, der sich plötzlich aufgrund einer Verkettung von Ereignissen in der Rolle eines algerischen Transvestiten ohne Aufenthaltsgenehmigung wiederfindet. Und so droht auch ihm die Ausweisung.

Immer wieder zeigt sich das Land der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in den Filmen eben nicht von der Schokoladenseite. In Frankreich leben zwei Millionen Migranten aus Nordafrika, und ihre Einwanderungsgeschichte, so wie sie diese Filme wiedergeben, wirft kein rühmliches Licht auf die Grande Nation. Anfangs als Arbeitskräfte importiert, war – ähnlich wie hierzulande – den meisten nicht einmal erlaubt, ihre Familien nachzuholen.

Buchstäblich marginalisiert lebten viele in slumähnlichen Bara-ckenvierteln am Rand der großen Städte. Dorthin führt Bourlem Guerdjous Leben im Paradies, das eindringlich erzählt, wie wenig paradiesisch das Leben für MigrantInnen im Frankreich der sechziger Jahre war. Diese Regiearbeit, die Bildern und nicht nur dem gesprochenen Wort vertraut, wie auch Chad Chenougas Rue Bleue, Nr.17 zeigen, dass noch einiges in der franko-nordafrikanischen Geschichte genauer anzusehen und neu zu erzählen ist.

Die Filmreihe – der Algerier Rachid Nafir hat sie zusammengestellt – wirft mal witzig, mal gesellschaftskritisch, mal eigenwillig einen Blick über den Tellerrand. Außerdem werden zu den ersten Vorstellungen ihrer Filme jeweils die Regisseure Abdel Kechiche und Chad Chenouga anwesend sein, und zur Eröffnung gibt es Rai von der Band Djazair Dua el Andalus.

Eröffnung mit Inch'allah dimanche und Musik: Fr, 20 Uhr (Film läuft auch Mo, 17 Uhr); Voltaire ist schuld (in Anwesenheit des Regisseurs): Sa, 19.15 Uhr (+ Mi, 21.15 Uhr); Aus kontrolliertem Anbau : So, 19 Uhr + Mi, 17 Uhr; L'attente des femmes : Di, 21.15 Uhr, Metropolis; die Reihe wird fortgesetzt

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