Kein Kommentar!: Vom Geist des Reinfalls
Bei der „Vanity Fair“ hat man bald die ersten 100 Tage voll – und die Anfangseuphorie aufgebraucht. An Gerüchten mangelt es indes nicht: Wird Chefredakteur Ulf Poschardt schon bald abgelöst?
Da hatten wir uns gerade an Ulf Poschardt und seine Editorials in der Vanity Fair gewöhnt. Endlich hatten wir die Texte als das erkannt, was sie wirklich sind: die subtilste Form von Borderline-Journalismus, die es bislang in Deutschland gegeben hat. Denn ob nun Interview-Erfinder Tom Kummer Ivana Trump eine Zen-Philosophie in den Mund legt oder Ulf Poschardt gleich selbst über den Mindestlohn schreibt – das macht keinen Unterschied.
Nun aber soll Poschardt vor der Ablösung stehen – munkelt zumindest die Branche. Wie zuletzt vor dem Start kocht die Gerüchteküche in Sachen Vanity Fair wieder über. Nur wird diesmal statt einschüchternder Erfolgsphantasmen der Geist des Reinfalls beschworen. Von Headhuntern ist die Rede, die schon auf der Suche nach Ersatz wären. Oder hat Poschardt vielleicht schon selbst die Kündigung eingereicht?
Der Verlag Condé Nast dementiert rigoros – und tatsächlich: Nach nicht einmal vier Monaten den Chefredakteur auszuwechseln, wäre arg früh. Doch die Krisenmeldungen aus der Redaktion reißen nicht ab: Die Arbeitsbelastung gilt als immens, die Personalführung als erratisch. Mehrere jüngere Redakteure haben lieber gekündigt, als sich weiter als Wasserträger verheizen zu lassen. Nun sollen auch die ersten Kündigungen von Verlagsseite ausgesprochen werden.
Zudem soll die Zielauflage von 120.000 Heften häufig heftig verfehlt worden sein. Die Ausgabe mit Papst Benedikt auf dem Cover hat gerüchteweise nur 50.000 Käufer gefunden. Selbst der anfängliche Enthusiasmus der Werbekunden soll merklich geschwunden sein. Noch mehr Quatsch, heißt es aus dem Verlag. Man habe bislang mit jedem Heft die Zielauflage erreicht.
Doch von Poschardts ehrgeizigem Ziel, das Leitmedium für die Mover und Shaker dieses Landes zu werden, ist man nach der abgeebbten Anfangsneugier weiter entfernt denn je – so weit, dass Poschardt vielleicht selbst bald gemoved und geshaked wird. Auch seine mit Blick auf die angestrebte Klientel fragwürdige Entscheidung für den Papst als Coverboy und gegen den mittlerweile zum künftigen Showpartner von Harald Schmidt aufgestiegenen Oliver Pocher, mit dem man Annie-Leibovitz-Fotos nachgestellt hatte, kann man getrost als glücklos bezeichnen.
Fakt bei aller Tuschelei ist: Am Layout wird gebastelt. Einige Seiten sollen kleinteiliger werden, andere entzerrt. Und fest steht auch, dass das nicht die einzigen Veränderungen bleiben werden.
Hannah Pilarczyk
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