: Kein Kleinküchenrealismus als Rettung
■ Mit Eskalation ordinär gibt die Regiehoffnung Karin Baier ihr Hamburger Debüt
In drei Jahren sieben Inszenierungen von sieben Stücken an vier Spielorten derselben Stadt, das dürfte für einen Theaterautor außergewöhnlich sein, für einen zeitgenössischen sowieso. Aber nicht nur in dieser Hinsicht wußte Werner Schwab die normalen Maßstäbe zu sprengen.
Am 11. April 1992 hatte seine Volksvernichtung im Malersaal Premiere, weitere Stücke folgten bald im TiK und auf Kampnagel. Und so kam es, daß – nach Schwabs überraschendem Tod in der Silvesternacht 1993/94 – sich Schauspieler sowohl des Hamburger Schauspielhauses als auch des Thalia Theaters, als auch der Gruppe Babylon im Literaturhaus gemeinsam zu einer Gedächtnislesung einfanden. Damit nicht genug des Hamburger Schwab-Booms: Unter Schwabs Aufträgen für neue Stücke fand sich auch einer der Direktion von der Kirchenallee.
Das Auftragswerk, Eskalation ordinär betitelt, wurde noch fertig und feiert morgen, Freitag, im Malersaal Premiere – als eben siebente Schwab-Inszenierung in der Hansestadt. Während der Autor also dem Hamburger Publikum bekannt sein dürfte, gibt es bei der Regie eine hansestädtische Premiere: Erstmals in so nördlichen Gefilden zeichnet die 29jährige Karin Baier für die Inszenierung verantwortlich. Damit ergibt sich die Gelegenheit, eine der zur Zeit angesagtesten Regiehoffnungen der Republik (Wahl zur Nachwuchsregisseurin des Jahres 1994 in der Zeitschrift Theater heute, Einladung ihrer Romeo und Julia-Inszenierung zum letztjährigen Berliner Theatertreffen) kennenzulernen.
Wahrscheinlich war es ihre Düsseldorfer Inszenierung von Weihnachten bei Ivanovs, so spekuliert Karin Baier im Gespräch, die für die Schauspielhaus-Dramaturgie den Anstoß gab, ihr den theatralisch nicht unheiklen Schwab-Text anzuvertrauen. Schon bei dem Stück des russischen Avantgardisten Aleksandr Vvedenskij hatte sie mit sehr offenen Text-Strukturen umzugehen, eine Aufgabe, die sie, nach überwiegendem Kritikerurteil, glänzend löste.
Die nach typisch Schwabscher Manier monologische Textblöcke wälzende Eskalation ist für die eher szenisch denkende Regisseurin Karin Baier eine neue Art der Herausforderung: „Inhaltlich ist Eskalation ordinär toll, da hat Werner Schwab wirklich viel zu sagen, auch die Sprache ist natürlich sehr theaterwirksam, aber szenisch ist das Stück doch sehr dünn. Schwab dachte eben gar nicht theatralisch, ich hätte ihn während der Proben manchmal würgen können.“
So bestand für die Regisseurin die Hauptarbeit der Inszenierung darin, für den Inhalt des Stückes – die Passionsgeschichte des Arbeitslosen Helmut Brennwert – eine spielbare Form zu finden, ohne, wie sie es ausdrückt, „nun die ganze Zeit den Hampelmann zu spielen“. Wichtig bleibt ihr dabei der Untertitel: „Ein Schwitzkastenschwank in sieben Affekten.“ Das Grelle, Überzeichnete, eben Schwankhafte des Textes, die Derbheit seiner Mittel, möchte sie natürlich in die Aufführung hinüberretten. Eins dagegen hat sie vermieden: Naturalismus. Einen Kleinküchenrealismus, in den sich bislang viele Schwab-Regisseure hineingerettet haben, wird es bei ihr nicht geben.
Dirk Knipphals
Malersaal, Fr, 17. 3., 20 Uhr, danach wieder Dienstag/Mittwoch
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