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Archiv-Artikel

Kein Kampf am Berg

Lance Armstrong und seine Helfer haben durch ihre Hochgeschwindigkeitstaktik die einst so hart umkämpften Fahrten über die hohen Passstraßen zu wahren Langweilern werden lassen

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Jan Ullrich ist geschlagen. Kaum einer – er selbst wohl am wenigsten – rechnet damit, dass er die Tour de France des Jahres 2005 noch gewinnen kann. Dennoch wirkt der ewige deutsche Hoffnungsträger alles andere als verbittert. Bisweilen hat man sogar den Eindruck, dass er ganz zufrieden mit sich ist. Auf dem Weg zum Galibier konnte er dem großen Meister Lance Armstrong folgen. Ullrich kam gleichzeitig mit dem Gesamtführenden zum höchsten Punkt der Tour. Mehr ist einfach nicht drin – für ihn nicht und für die anderen Spitzenfahrer auch nicht.

Die Alpen sind überwunden. Auf der letzten nicht mehr allzu schweren, aber doch sehr hügeligen Bergetappe sorgte David Moncoutié für einen französischen Etappensieg am Nationalfeiertag. Nachdem er sich beim letzten Anstieg von einer Ausreißergruppe absetzen konnte, war er nicht mehr zu stoppen. Im Feld beobachtete man das Treiben der Flüchtlinge gelassen, zu groß war ihr Rückstand im Gesamtklassement.

Lance Armstrong und seine Mannschaft ruhten sich auf dem in den Alpen erworbenen Lorbeer aus. Sie haben eine Art entwickelt, in die Berge zu fahren, die es beinahe unmöglich macht, zu attackieren. Die Gegner des sechsfachen Toursiegers sind nicht etwa zu zaghaft und trauen sich nicht anzugreifen – sie sind schlichtweg nicht in der Lage, das Tempo, das Armstrong mit seinem Team diktiert, zu toppen. Nach vorne kommt keiner weg, interessant scheint nur noch die Frage zu sein, wann jemand nicht mehr mithalten kann.

Es ist noch nicht lange her, da gab es schon einmal einen Tour-Dominator. Miguel Indurain gewann von 1991 bis 1995 die große Schleife fünfmal in Folge. Er war als eiskalter Rechner verschrien. In den Bergen zehrte er von seiner Überlegenheit im Kampf gegen die Uhr. Immer wieder gelang es Fahrern wie Claudio Chiapucci oder Tony Rominger jedoch, ihn in den Bergen zu distanzieren. Seine letzte Tour verlor Indurain beim Bergauffahren, als er der Gruppe um den Dänen Bjarne Riis auf dem Weg nach Les Arcs nicht mehr folgen konnte und 3 Minuten auf den späteren Gesamtsieger verlor. Das Bild vom geschlagenen Miguel Indurain ging um die Welt. Auch die Entthronung des Dänen nur ein Jahr später durch Jan Ullrich war das Resultat einer Attacke am Berg. Beim Anstieg nach Andorra-Arcalis konnte dem seinerzeit 23-jährigen Deutschen niemand folgen.

Ein Bild von der Entthronung Armstrongs wird es wohl nicht geben. Wenn alles weiterhin so läuft wie bisher, wird er die große Bühne Tour de France als Sieger verlassen. Vielleicht macht Mickael Rasmussen sein Versprechen ja noch wahr und attackiert in den Pyrenäen. Im Kampf gegen die Uhr ist er zu schwach, um gegen Armstrong zu bestehen. Wenn er wirklich gewinnen will, müsste er am Berg angreifen. Die Frage ist jedoch, ob er es kann. Vielleicht ist auch er am Ende froh, wenn er mithalten kann mit dem großen Meister aus Texas.

Vielleicht verschiebt er seine Attacke auch auf das nächste Jahr, auf das Jahr eins nach Armstrong. Es wird das Jahr sein, in dem sich das Peloton neu ordnet. Sicher wird Jan Ullrich dann wieder als Sieganwärter gehandelt. Wenn er 2006 immer noch zufrieden ist, wenn er mitgehalten hat, dann würde wahr, was viele jetzt schon vermuten. Er wird die Tour nicht mehr gewinnen.