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Archiv-Artikel

Kein Herz für Ausländer

DISKRIMINIERUNG Eine Klinik will einen herzkranken Flüchtling nicht operieren. Sein Deutsch sei zu schlecht. Für Schmerzensgeld zieht er bis vor das Verfassungsgericht

Die Regeln für Transplantationen sollte der Staat festlegen, nicht die Ärzte

VON JOACHIM GÖRES

Das Herz von Hassan Rashow-Hussein schlägt zu schwach. Es liefert nur noch eine Pumpleistung von 24 Prozent. Er wird ein neues Organ brauchen, um zu überleben, das steht fest. Trotzdem sagte man ihm im Herz- und Diabeteszentrum in Bad Oeynhausen, dass man ihn nicht auf die Warteliste für Herztransplantationen setzen wird. Der Grund: sein Deutsch sei zu schlecht. Rashow-Hussein ist 61 Jahre alt und Kurde. Nach der Operation müsse er an seiner Genesung mitwirken, sagte man ihm: Für die Gespräche mit dem Arzt und für die Beipackzettel der Medikamente reichten seine Sprachkenntnisse nicht aus.

Rashow-Hussein kam vor 13 Jahren aus dem Irak nach Niedersachsen, wo der neunfache Vater heute als anerkannter Flüchtling in Peine lebt. Die Entscheidung der Ärzte in Bad Oeynhausen schien für ihn das Todesurteil zu sein.

Zwei Monate später setzte das Universitätsklinikum Münster Rashow-Hussein auf seine Liste der Transplantationspatienten. Seither wird er dort medizinisch betreut – mit sprachlicher Unterstützung durch Dolmetscher.

In den Richtlinien der Bundesärztekammer steht, dass „sprachliche Verständigungsschwierigkeiten“ die Mitarbeit des Patienten zwar beeinflussen könnten, doch sie stünden „allein einer Transplantation nicht entgegen“. Kann die Interpretation dieser Richtlinie, die über Tod oder Leben mitentscheidet, so unterschiedlich ausfallen? Rashow-Hussein vermutete hinter der Ablehnung des Herzzentrums in Bad Oeynhausen Diskriminierung. Vor Gericht will er ein Schmerzensgeld erstreiten.

Doch da hatte er die Rechnung ohne das Landgericht Bielefeld und das Oberlandesgericht Hamm gemacht. Beide lehnten den Antrag des Hartz-IV-Empfängers auf Prozesskostenhilfe ab, weil sie für sein Ansinnen keine Erfolgsaussichten sahen. Erst das Bundesverfassungsgericht (Az. 1 BvR 274/12) hat jetzt diese Frage anders bewertet: Die Prozesskostenhilfe muss gewährt werden.

„Die Entscheidung der Verfassungsrichter ist eine richtige Ohrfeige für die ersten beiden Instanzen“, sagt der Oldenburger Rechtsanwalt Cahit Tolan, der Rashow-Hussein vor Gericht vertritt. Tolan hatte eine 22 Seiten lange Verfassungsbeschwerde eingereicht und dabei auf den Artikel 3 des Grundgesetzes verwiesen: Niemand darf wegen seiner Sprache oder Herkunft benachteiligt werden.

Dass sprachliche Schwierigkeiten ein Kriterium sind, um zu bewerten, ob ein Patient ausreichend bei seiner Genesung mitarbeiten werde, ist auch für die Karlsruher Richter strittig. Eine derartig schwierige Frage dürfe nicht schon vor dem tatsächlichen Prozess – nämlich durch die Verweigerung der Prozesskostenhilfe – entschieden werden. Jetzt ist es die Aufgabe des Landgerichts Bielefeld, zu entscheiden, ob das Herzzentrum wie vom Kläger gefordert ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000 Euro zahlen muss.

Rashow-Hussein muss jetzt auf einen Termin für die Hauptverhandlung der Schadensersatzklage warten – genauso wie auf das Herz. Wann er in Münster operiert werden kann, weiß er nicht. Sein gesundheitlicher Zustand ist durch die regelmäßigen Besuche bei den Ärzten in Münster stabil. „Er nimmt pünktlich alle Termine wahr, versteht inzwischen alle medizinisch relevanten Begriffe und zeigt so seine Bereitschaft zur Mitwirkung“, sagt Rashow-Husseins Anwalt.

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, betont die grundsätzliche Bedeutung des Falles. Er kritisiert, dass bislang allein die Bundesärztekammer die Kriterien für die Aufnahme auf die Warteliste für Transplantationspatienten bestimmt. Nun werde endlich „ein deutsches Gericht in der Frage der Richtlinienkompetenz entscheiden“, sagt Brysch. Er fordert, dass künftig der Bundestag diese Richtlinien festlegen soll.