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Archiv-Artikel

Kein Guru, ein Lehrer

Zum Auftakt der Handball-WM präsentiert sich ein gewandelter Heiner Brand: Der früher mürrische Bundestrainer wird auch bei durchwachsenen Leistungen seiner Mannschaft zum Gute-Laune-Onkel

AUS BERLIN ANDREAS RÜTTENAUER

Zunächst sitzt er zumeist auf dem für den Trainer vorgesehenen Platz an der Seitenlinie. Kurz nach dem Anwurf steht er auf, schreitet dann vor bis zur Linie und geht in die Hocke. Es ist die typische Heiner-Brand-Haltung. Der Trainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft hockt am Rande des Spielgeschehens und beobachtet das Spiel. Ob es ihn ärgert, was er sieht, ob es ihn freut – es ist ihm meist nicht anzusehen.

Seit zehn Jahren geht Brand nun schon in die Hocke. Das Bild des Trainers mit dem dicken Mongolenbart in der für ihn typischen Beobachtungshaltung hat sich eingemeißelt im Gedächtnis der sportinteressierten Öffentlichkeit. Brand war verantwortlich für eine der erfolgreichsten Dekaden des deutschen Handballs. Er ist populär. Jetzt, bei der WM im eigenen Land, soll er vielleicht sein letztes, sein größtes Meisterstück fabrizieren. Brand stellt sich der Aufgabe mit einer Lässigkeit, die langjährige Weggefährten des Bundestrainers erstaunt.

Denn Brand wirkte oft verschlossen und mürrisch, wenn er eine Mannschaft durch ein großes Turnier führte. Er sprach viel vom Druck, der auf der Mannschaft, aber auch auf ihm selbst lastete. Für ihn endete eine Welt-, oder Europameisterschaft nicht mit dem letzten Spiel der Mannschaft. Er erzählte, dass er des öfteren Wochen gebraucht habe, um die Ereignisse während eines Turniers zu verarbeiten. Nun erlebt die Öffentlichkeit einen ganz anderen Brand, einen, dem es Spaß zu machen scheint, mit dem großen Medientross, der die Nationalmannschaft während der WM begleitet, regelrecht zu spielen. Er lächelt, zwinkert ihm bekannten Journalisten zu, witzelt vor sich hin. Er beschönigt nicht. Er bringt mit klaren Worten zum Ausdruck, dass ihm nicht gefallen hat, wie seine Mannschaft im Eröffnungsspiel der WM am Freitag in Berlin gegen Brasilien, wahrlich keine Spitzenmannschaft, aufgetreten ist (Das zweite Gruppenspiel gegen Argentinien war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet). Dennoch herrschte gute Laune nach der Pressekonferenz im Anschluss an das Spiel. Brand lächelte, und die sorgenvollen Mienen der Journalisten hellten sich auf.

Mit sieben Jahren wurde der kleine Heiner Mitglied beim VfL Gummersbach und begann mit dem Handballspielen. Als 21-Jähriger gewann er zum ersten Mal den deutschen Meistertitel mit dem Verein aus dem Bergischen Land. 1978 wurde er in Dänemark Weltmeister. Er war einer der besten Verteidiger der Welt. Auch als Trainer war er so erfolgreich wie kaum ein zweiter. Fünf Medaillen bei Großereignissen hat die deutschen Nationalmannschaft gewonnen, seit Heiner Brand Bundestrainer wurde. Wo der Mann, der immer noch in Gummersbach lebt, für den Handball arbeitet, lässt der Erfolg nicht lange auf sich warten.

Doch der 53-Jährige ist alles andere als ein Guru, der es versteht, ein Erfolgsgen durch bloßes Handauflegen auf seine Mannschaften zu übertragen. Vielmehr setzte als einer der ersten seiner Zunft neue Erkenntnisse der Trainingswissenschaft um. Witzig anzusehende Bilder von Profisportlern, die sich mit Gummibändern zwischen den Beinen im Watschelgang fortbewegen, hätte man bei Trainingseinheiten der Handballnationalmannschaft schon schießen können, da war Rudi Völler noch Trainer der deutschen Auswahlfußballer. Auch Spieler sportpsychologisch betreuen zu lassen, ist für Brand schon lange selbstverständlich. Als er nach seiner Bestallung zum Bundestrainer vor die Presse trat, sagte er: „Für Egoisten ist bei mir kein Platz.“ Doch wer meinte, Brand könne nur mit angepassten Charakteren arbeiten, sah sich schnell getäuscht. Wie kaum ein Zweiter versteht er es, Mannschaften zu bauen, deren Hierarchiegefüge von allen Spieler akzeptiert wird. Vor Beginn der WM herrschte eine beinahe gnadenlose Auslese im Team. Ein 28 Spieler umfassender Grundkader wurde immer weiter ausgedünnt. Erst am Tag des Eröffnungsspiels stand der 15er-Kader fest, mit dem die Deutschen durch die Vorrunde marschieren wollen. Der dritte Torhüter Carsten Lichtlein und Rechtsaußen Stefan Schröder fielen kurz vor Beginn der WM aus dem Team. Die Auslese fand leise statt, laute Beschwerden der betroffenen Spieler waren nicht zu vernehmen. Die Ausgemusterten, die nach dem Ende der Vorrunde noch nachrücken können, gehören – Brand hat verstanden, das so zu vermitteln – zum Team, auch wenn sie nicht dabei sind. Der Bundestrainer als Teammanager.

Nun hat sich Brand wohl vorgenommen, ein weiteres Feld professionell zu beackern: den Umgang mit der Öffentlichkeit. Auch früher waren seine Stellungnahmen unaufgeregt. Nie trat er öffentlich auf einzelne Spieler ein, immer stellte er sich auch in schwierigen Situationen vor die Mannschaft. So hat er sich auch nach dem mühsamen WM-Auftakt verhalten. Er hat macht in diesen Tagen aber noch etwas anderes: Heiner Brand ist der Gute-Laune-Onkel des Handballsports. Er sorgt für Stimmung. Als der Vizepräsident des deutschen Handballbunds (DHB) Horst Bredemeier die letzte Pressekonferenz vor der WM mit den Worten „damit wollen wir den Bundestrainer entlassen“ beendete, meinte Brand: „Entlassen? Schon vor der WM?“ Er lachte – und alle lachten mit.