: Kein Glück in der Ehe
Eine Wiederentdeckung von 1932: Elisabeth Bowens Roman „Die Fahrt nach Norden“
Lesen ist eine gefährliche Beschäftigung, vor allem für junge Frauen. „Nachdem sie zahlreiche Romane über die Ehe gelesen hatte, von einigen wissenschaftlichen Büchern ganz zu schweigen, wußte sie nicht nur, wie unglücklich sie war, sondern auch genau, wie unglücklich sie noch werden konnte“, heißt es in Elisabeth Bowens „Die Fahrt nach Norden“ über eine brave junge Ehefrau. Die muss zwar weder unangekündigte Besucher ihres Mannes bewirten noch bügeln, aber dennoch leidet sie Höllenqualen.
Ein Plädoyer für die Ehe ist der 1932 erschienene Roman der Irin, der jetzt erstmals auch in deutscher Übersetzung zu lesen ist, wahrlich nicht. Doch auch den unverheirateten Frauen ergeht es kaum besser in diesem Buch, aus dem weniger feministischer Kampfgeist spricht als vielmehr stille Resignation darüber, dass Männer und Frauen in der Liebe einfach nicht so recht zueinander passen wollen.
Dabei scheint zunächst alles anders: Die schöne Emmeline, eine einzelgängerische, in jeder Hinsicht kurzsichtige Frau Mitte zwanzig, die ganz in ihrer Arbeit im eigenen Reisebüro aufgeht – ein Workoholic, würde man heute wohl sagen –, wird eines Tages von der Liebe erfasst und unversehens aus der Bahn geworfen. Doch das Objekt ihres Begehrens, der aufstrebende Anwalt und überzeugte Junggeselle Markie, möchte sich nicht binden, sondern nur ein bisschen amüsieren. Über die Unbändigkeit ihrer Leidenschaft ist er befremdet und flieht schließlich vor ihrer „hysterischen Sensibilität“ in eine lockere, unverbindliche Affäre. Den Gegenpol zu der auf den ersten Blick kühlen, unnahbaren Geschäftsfrau Emmeline, die sich über alle gesellschaftlichen Moralvorstellungen und rationalen Argumente hinwegsetzt, bildet ihre Freundin Cecilia. In ihrer romantischen Sehnsucht erwartet die vergnügungs- und partysüchtige junge Frau an jeder Ecke die große Liebe und heiratet am Ende doch nur aus Vernunftgründen.
Diese um zahlreiche Nebenfiguren und -schauplätze erweiterte äußere Handlung bietet indes nur die Folie, vor deren Hintergrund Bowen ein dichtes Netz aus Szenen und Bildern, Stimmungen und Eindrücken, Farben und Geräuschen, Licht und Schatten entwirft. Wie in ihren bekannteren Erzählungen und Romanen erweist sich die 1899 geborene, dem literarischen Kreis um Virginia Woolf zugehörige Autorin auch in diesem Werk als Meisterin der atmosphärischen Verdichtung. Auf höchst kunstvolle Weise werden innere Zustände nach außen projiziert, finden seelische Spannungen in poetischen Naturbildern und dramatischen Landschaftsbeschreibungen ihre Entsprechung, ohne dass je der Boden der Realität verlassen würde. Die mit wenigen Strichen hingeworfenen Skizzen Londons mit seinen flimmernden, von surrendem Verkehr erfüllten und Kinoplakaten „voll gigantischer Liebe“ gesäumten Straßen, mit seinen Cafés und Partys fügen sich zu einem faszinierenden Abbild des Großstadtlebens in den Dreißigerjahren.
Wenn Emmelines Geschichte auch in einer Tragödie endet, so ist der Roman streckenweise sehr komisch und amüsant – vor allem durch die Dialoge, die mitunter an die rasanten amerikanischen Filmkomödien jener Zeit erinnern. Ob leeres Partygeschwätz oder peinliche Problemgespräche, Klatsch und Tratsch oder bedrückendes „Erwachsenenschweigen“, das mehr sagt als viele Worte – stets trifft Bowen den richtigen Ton. Dieser hat, nicht zuletzt dank der hervorragenden deutschen Übersetzung, auch nach über siebzig Jahren nichts an Frische und Lebendigkeit verloren. MARION LÜHE
Elisabeth Bowen: „Die Fahrt nach Norden“. Roman. Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier. Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2003, 475 Seiten, 24,90 Euro