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„Kein Geld, um irgendetwas zu kaufen“

■ Die 22–jährige südkoreanische Arbeiterin Ji–Hang erzählt der taz in der evangelischen Industriemission von Seoul über ihr Leben, ihre Erfahrungen in den Fabriken und über den Versuch, eine unabhängige Gewerkschaft zu bilden / Gegen Sonntagsarbeit und Hungerlöhne

Ich heiße Ji–Hang und bin 22 Jahre alt. Zusammen mit meinen drei Geschwistern bin ich in einem Armenviertel in der Nähe des Flughafens von Seoul aufgewachsen. Mein Vater versuchte sich in allen möglichen Geschäften, aber er hatte nie Erfolg, und als ich 16 war, konnte er das Schulgeld für uns nicht mehr aufbringen. Also ging ich in die Fabrik. Mein erster Arbeitsplatz war in der Qualitätskontrolle einer Strumpffirma, es war sehr staubig, viele Arbeiterinnen hatten Lungenkrankheiten, und die Beleuchtung war so schlecht, daß wir die Fehler kaum erkennen konnten. Trotzdem strengte ich mich an, so sehr ich konnte, denn damals dachte ich: wenn ich hart arbeite, kann ich vielleicht genug sparen, um weiterzulernen oder gar zu studieren. Abends besuchte ich Kurse, um mich auf die Eingangstests für Highschool und Universität vorzubereiten. Ich bestand sie auch, aber bald darauf ging die Firma bankrott, weil der Boss Geld aus der Kasse für private Zwecke vewendet hatte. Arbeit ohne Lohn Bei meiner zweiten Stelle, einer kleinen koreanischen Firma in der Elektroindustrie, waren die Arbeitsbedingungen ähnlich wie bei der ersten. Wir mußten den ganzen Tag sitzen. Sogar um aufs Klo zu gehen, mußte man den Vorgesetzten um Erlaubnis fragen. Wir wußten nie, wieviel wir im Monat verdienten. Der Lohn wurde häppchenweise ausgezahlt, so daß wir nie etwas planen konnten und als dann auch die Firma pleite ging, behielten sie den Rest des ausstehenden Lohnes einfach ein. In der nächsten Firma, in der ich anderthalb Jahre beschäftigt war, arbeiteten wir direkt neben den Büroangestellten. Die durften sich natürlich frei bewegen, aber wir konnten nur mit der Genehmigung des Vorgesetzten aufstehen. Außerdem wurden wir beschimpft und herablassend behandelt. Als eine Arbeiterin es einmal wagte, sich dem Abteilungsleiter zu widersetzen, ohrfeigte er sie. Viele Kollegen bekamen von der Arbeit mit den Chemikalien Hautausschläge, aber wir durften nie zum Arzt gehen. Die Diskriminierung gegenüber den Angestellten äußerte sich in vielen Kleinigkeiten. So erhielten wir Essensmarken für 500 Won, die Angestellten aber für 800 Won. Und wenn wir am Ende der Nachtschicht frühstückten, so gab es meist Instantnudeln für nur 300 Won, den Rest des Geldes behielt die Firma einfach. Als wir protestierten, gaben sie nur ein Glas Milch dazu, aber kein Koreaner trinkt Milch zum Frühstück! Der Studienzirkel Das alles machte mich sehr wütend und ich fragte mich, ob es so sein muß. Als mir eine Freundin erzählte, daß es eine Abendschule für Arbeiter gibt, hat mich das sehr interessiert. Studenten hatten einfach eine Kirche angemietet und hielten dort Studienzirkel für Arbeiter ab. In kleinen Gruppen studierten wir Geschichtsbücher, die speziell für Arbeiter geschrieben waren, zum ersten Mal las ich „Away to Seoul“ und „Outcry of a Sandstone“, zwei Romane von Arbeitern, die in die Stadt kommen. Wir begannen auch, uns mit der russischen Revolution zu beschäftigen. Christen und Nichtchristen haben zusammengearbeitet. Die Studenten sagten: die Abendschule ist der einzige Ort, wo man wirklich etwas über die Realität unseres Landes lernen kann. In dieser Zeit hat sich auch mein Verhältnis zu Ausländern geändert. Es fing damit an, daß meine Schwester eine „kleine Prinzessin“ wurde. So werden bei uns die Frauen genannt, die mit US–Soldaten von den Militärbasen zusammenleben um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Wie unzählige andere Frauen in Korea arbeitete meine Schwester als Prostituierte, um den Schulbesuch meines Bruders zu finanzieren. Und aus Scham darüber beging sie vier Selbstmordversuche, heute ist sie mit dem Amerikaner verheiratet und lebt in den USA. Die Regierung sagt, Korea sei ein unabhängiges Land. Aber das ist nicht wahr: die USA waren an der Teilung zwischen Nord– und Süd des Landes beteiligt, sie haben die Militärdiktatur gestützt, sie lagern ihre Atomwaffen bei uns und zwingen uns, ihre Agrarprodukte zu importieren. Nachtschicht bei „Ilshin Electronics“ Im Frühjahr letzten Jahres stand ich wieder ohne Arbeit da, weil die Firma pleite gemacht hatte. Nach ein paar vergeblichen Bewerbungen schlugen Kollegen aus der Abendschule vor, wir sollten gezielt bei Ilshin Electronics einsteigen und unsere politischen Ideen in die Praxis umsetzen. Bei Ilshin hatte es schon mehrmals spontane Proteste gegeben, die mangels Vorbereitung nie Erfolg hatten. Es hieß, daß dort auch ein paar ehemalige Studenten untergetaucht seien, die aber kein Bein auf den Boden bekämen, weil sie für den Geschmack der Arbeiter „zu viel redeten“. Ich ging hin, bekam den Job und ging ab Juni 86 in die Nachtschicht. Bei Ilshin wurde im Zweischichtsystem gearbeitet, jeweils von 8.30 bis 8.30, also zwölf Stunden lang, sechs Tage in der Woche und zweimal im Monat auch sonntags. Um zwei Uhr nachts gab es eine Reismahlzeit und um fünf Uhr die billigen Nudeln. Der Grundlohn lag bei 110.000 Won (rund 250 Mark), mit Bonus und Nachtzulage kam ich auf 160 - 170.000 Won im Monat. Das klingt gut, aber zwölf Stun den sind verdammt lang, und oft habe ich morgens gedacht, ich will nur noch umfallen und aufgeben. Es gibt ein Arbeiterlied darüber, wie man sich nach einer Nacht in der Fabrik fühlt, wenn der Morgen graut - das haben wir oft gesungen. Ich teilte mir zu dieser Zeit mit drei Freundinnen ein Zimmer in einem der „chickenbox–houses“. Wir nannten sie so, weil es dort so eng wie im Hühnerstall war. Wir hatten kaum alle nebeneinander Platz zum Schlafen und am öffentlichen Wasserhahn mußte man oft Schlange stehen, um sich überhaupt das Gesicht waschen zu können. Um nach der Arbeit nicht total abzuschlaffen, hatten wir unsere Zeit ganz genau eingeteilt: von dann bis dann essen, von dann bis dann lesen, usw. Trotz der miesen Wohnbedingungen brauchte ich allein für Miete, Bus und Essen 120.000 Won im Monat, also drei Viertel meines Lohnes. Die meisten der 350 Arbeiter bei Ilshin waren Frauen. Außer mir kamen alle vom Land, d.h. sie waren jung und ziemlich unbedarft. Daß Frauen Verhältnisse mit den Vorgesetzten hatten, kam häufig vor. Der Aufseher unserer Abteilung z.B. war mit einem der Manager verschwägert und nutzte das weidlich aus. So setzte er eine Freundin von mir unter Druck mit ihm zu schlafen, und hinterher drohte er ihr, sie dürfe es niemandem erzählen. Frauen, denen sowas passiert, sind in einer ausweglosen Situation: sprechen sie darüber und ge ben damit öffentlich zu, daß sie nicht mehr Jungfrau sind, ist ihr Ruf ruiniert. Schweigen sie, dann bilden sich sehr subtile Abhängigkeiten heraus. Die meisten Frauen schweigen, und weil sie dann vom Vorgesetzten abhängig sind, ist es schwer, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Der Arbeitskampf Einschließlich der Studenten waren wir acht Aktivisten in der Fabrik. Wie kann man da die Arbeiter organisieren? Wir bildeten kleine Hobbygruppen und veranstalteten sonntags Picknicks außerhalb von Seoul. Schon nach ein paar Monaten hatten wir 25 zuverlässige Leute - die meisten Frauen -, die bereit waren, einen Arbeitskampf vorzubereiten. Heimlich begannen wir, Graffitis an die Toilettentüren zu schreiben: „Wir haben Hunger“ oder „Was sind unsere größten Probleme? 1. Zu lange Arbeitszeit. 2... 3...“ Schon bald haben andere Arbeiter die Listen ergänzt mit Dingen wie „erzwungene Überstunden“ oder „zu viel Staub“. Am 6. Mai dieses Jahres beschlossen wir dann, ein sit–in im Eßsaal zu veranstalten. Wir überlegten auch, ob wir öffentlich Repräsentanten wählen sollten, aber die Mehrheit der Arbeiter meinte, wir sollten lieber ohne Führung agieren, damit das Management nicht einzelne Rädelsführer heraussuchen könnte. Wir setzten uns also hin und riefen „Weg mit den erzwungenen Überstunden und der Sonntagsarbeit! Für eine Lohnerhöhung von 1.000 Won pro Tag! Veröffentlicht die Arbeitsgesetze!“ Dazu verteilten wir Flugblätter. Ursprünglich wollten wir darin auch das Problem der sexuellen Abhängigkeit von den Vorgesetzten ansprechen, aber die betroffenen Frauen waren dagegen, und so ließen wir es. Schon nach ein paar Stunden drängten die Manager uns auf die Straße. Dann baten sie zwölf von uns ins Büro, um „zu einer Einigung zu kommen“. Doch kaum waren wir drin, verschloß der Manager die Tür und zwang uns, zu unterschreiben, daß wir mit einer Kündigung einverstanden wären. Das ist natürlich selbst für koreanische Verhältnisse illegal, denn normalerweise tritt in solchen Fällen ein sogenanntes „Bestrafungskomitee“ auf den Plan, dem auch ein Vertreter der Arbeiter angehören muß. Wir brachten die Sache vor Gericht und vor das Arbeitsministerium, aber eine Entscheidung ist noch nicht gefallen. Für mich war diese Erfahrung mehr wert als tausend Bücher. Es war die Bestätigung dafür, daß wir wirklich für die richtige Sache kämpften. Trotzdem fühle ich mich oft schwach, und auch die Trennung von der Familie macht mir zu schaffen. Ich lebe nicht mehr zu Hause, weil meine Eltern sagen, ich soll mich nur um meine eigenen Belange kümmern. Als sie herausfanden, daß ich zu den Arbeiterschulen gehe, versteckten sie meine Schuhe und schlossen mich ein, mein Bruder schlug mich mehrmals zusammen, damit ich nicht zu den Treffen gehe. Das Komitee der Entlassenen Am 19. Juli haben wir mit Arbeitern aus anderen Fabriken das „Komitee der entlassenen Arbeiter in Seoul“ gegründet. Wir waren schon mehrmals mit Flugblättern vor der Fabrik, aber die Manager versuchen natürlich, uns wegzujagen. Auch die Arbeiterinnen müssen aufpassen, damit sie nicht mit uns gesehen werden. Wie wir überleben? Es ist schwierig. Ich bin mit der Miete im Rückstand, das Essen kommt meist irgendwie über Freunde zusammen, und ansonsten ist schlicht und einfach kein Geld da, um irgendetwas zu kaufen. Wenn es mir schlecht geht, denke ich an die Arbeiter, die sich selbst verbrannt haben, um auf ihre Rechte aufmerksam zu machen. Im Mai wollten wir uns schon neue Jobs suchen, aber dann kamen die ganzen Proteste und der Friedensmarsch (Großkundgebung der Opposition, nach dem die Regierung Demokratisierungsmaßnahmen versprach, d.Red.). Jetzt haben wir beschlossen, daß wir noch zwei Monate abwarten und sehen, ob wir nicht auch von der sogenannten „Demokratisierung“ profitieren können und wie die Studenten unsere Wiedereinstellung erreichen. Natürlich können nicht alle Arbeiter wieder eingestellt werden, die je entlassen worden sind. So konzentrieren wir uns aus taktischen Gründen auf diejenigen, die in diesem Jahr gefeuert wurden, und zwar von Firmen, für die die Wiedereinstellung kein ökonomisches Problem ist. Von der Regierung erwarten wir nichts. Ihre Vorschläge sind nur ein Versuch, an der Macht zu bleiben und in dem Acht–Punkte– Programm von Roo Tae Woo (dem Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei) wurden die Arbeiter mit keinem Wort erwähnt. Aber die Reaktion der Oppositionspartei auf unsere Forderungen ist auch sehr reserviert. Als wir und auch die entlassenen Arbeiterinnen von Flair Fashion (die koreanische Niederlassung der deutschen Textilfirma Adler, d.Red.) in ihr Büro gegangen sind, um über unsere Wiedereinstellung zu reden, haben sie zwar zugehört, aber ihre Position ist die von Beobachtern. Sie wollen sich nicht in unseren Kämpfen engagieren, und ich glaube, wenn die Basis sich nicht wirklich organisiert, wird sich auch nichts ändern.

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