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Kein Geld für geschundene Menschen

■ Refugio, das Bremer Beratungszentrum für Folteropfer ,steht vor der Schließung

„Unser Stichtag ist der 30. September. Wenn wir bis dahin nicht entsprechendSpendengelder kriegen, müssen wir schließen“, sagt Dagmar Penschinski von Refugio. Die Bremer Anlaufstelle mit psychosozialem Beratungs- und Therapieangebot für ausländische Flüchlinge steht vor dem Aus. Dabei ist das Zentrum das einzige dieser Art in Norddeutschland. Seit 1989 hilft Refugio Opfern von Folter und Gewalt. Damit gab es erstmals in Bremen und Umgebung ein Zentrum, das sich um die seelischen Wunden der Flüchlinge kümmerte.

Der Bedarf für eine solche Beratungsstelle war im Vorfeld für Leute, die mit Flüchtlingen arbeiteten, immer deutlicher geworden. ÄrztInnen, LehrerInnen oder SozialarbeiterInnen sind für die Betreuung gefolterter Menschen in der Regel nicht ausgebildet. „Es gibt nur wenige, die damit nicht überfordert sind und genügend Sensibilität haben, damit umzugehen“, weiß Heimke Lüers, Diplompädagogin und Gestalttherapeutin bei Refugio.

SpezialistInnen für Flüchtlinge mit traumatischen Erlebnissen fehlen, und oft scheitern die Versuche, zu helfen, schon an den Sprachproblemen. Mittlerweile steht Refugio eine ganze Reihe von DolmetscherInnen zur Verfügung. Eine unabdingbare Vorraussetzung, um das Gespräch mit den Folteropfern zu ermöglichen. Speziell für diese Klientel hat Refugio das Angebot der therapeutischen Arbeit mit DolmetscherInnen entwickelt. „Die Leute können bei uns das allererste Mal erzählen, was sie bedrückt“, weiß Dagmar Penschinski. „In einem ersten Kontaktgespräch versuchen wir zu klären, ob die Ratsuchenden bei uns richig sind“, erklärt sie die Arbeit des Beratungszentrums. Falsche Vorstellungen oder Erwartungen könnten damit schon im Vorfeld geklärt werden. In der Mehrzahl der Fälle würden Kurztherapien mit sechs bis acht Sitzungen folgen.

Sehr viel Einfühlungsvermögen sei dabei vonnöten. Heimke Luers: „Wir lassen die Leute erstmal reden. Viele sprechen zunächst über sehr oberflächliche Dinge, und erst nach und nach merke ich, wo die eigentlichen Ursachen ihrer Probleme liegen.“ Häufig leiden die Folteropfer, die das kleine Reihenhaus in einer Seitenstraße in Bremen-Findorff betreten, noch unter den physischen Folgen der Gewalt. Daher ist die Zusammenarbeit mit ÄrztInnen wesentlicher Bestandteil der Therapie, so zum Beispiel „bei Opfern, denen man die Zähne rausgebrochen hat“, berichtet Heimke Luers.

In diesem Jahr konnte Refugio 150 Personen in 400 Beratungsstunden helfen, ihre traumatischen Erlebnisse zu überwinden oder zumindest ihre seelische Not zu lindern. Diese nackten Zahlen machen den tatsächlichen Arbeitsaufwand jedoch nicht erkennbar. Jede Beratungsstunde müsse vor- und nachbereitet werden. Daneben füllten Gespräche mit RechtsanwältInnen und ÄrztInnen, Hausbesuche und die Begleitung zu Ämtern den Terminkalender.

Doch nicht nur der volle Terminplan drückt, sondern auch die Sorge um das finanzielle Überleben. Damit teilt das Bremer Beratungszentrum das klassische Schicksal von Initiativen dieser Art. So sehen sich die Mitarbeiter bei Refugio jedes Jahr mit den gleichen Fragen konfrontiert: Woher bekommen wir Gelder? Wie lange noch kommen wir über die Runden?

Durch Zuschüsse der SenatorInnen der Ressorts Gesundheit, Soziales sowie Kultur und Ausländerintegration, der Bremischen Evangelischen Kirch, der EU, der UN, der UNO-Flüchtlingshilfe, des Landessportbundes sowie von EinzelspenderInnen konnte die Arbeit bislang gerade mal bewältigt werden.

Mit zwei therapeutischen Fachkräften ist die Personaldecke für die psychosoziale Betreuung denkbar knapp. Dabei müssen sich Heimke Lüers und Hossein Farschidi-Nik, Iraner und selbst Folteropfer, eine Stelle teilen. Dagmar Penschinski als Vollzeitarbeitskraft kümmert sich um die Verwaltungs- und Öffentlichkeitsarbeit und stellt die Erstkontakte her. Dem Ansturm der Hilfesuchenden sind die drei damit kaum gewachsen. „Angesichts unserer finanziellen Situation finde ich es schwierig zu helfen, weil ich nie weiß, wie lange ich noch den Menschen zur Verfügung stehe“, bedauert Heimke Luers.

In diesem Jahr sind die notwendigen Mittel lediglich zur Hälfte bewilligt. Ernüchterung macht sich breit, denn die Zukunft sieht düster aus. Hilfesuchende abweisen zu müssen, könnte schon bald bittere Realität werden. Heimke Luers: „Folteropfern zu sagen, wir können nicht mehr, ist schon verdammt schwierig.“ Dirk Reelfs

Refugio: Gothaer Straße 19, 28215 Bremen, Telefon 0421/3760749, Spendenkonto: Sparkasse Bremen, Konto 1071281, BLZ 29050101.

„Die Mutter und die Schwester verschwinden und ich befinde mich auf der Flucht. Ich erfahre, daß der Vater ermordet wurde. Ein paar Tage später werde ich gefaßt, aber ich bin doch noch so jung. Sie fangen an, mich zu schlagen. (...) Jeden Tag höre ich das Geschrei der Menschen, die gefoltert werden. Mein größter Wunsch war, so schnell wie möglich umgebracht zu werden. (...) Das Übelste (...) war, daß sie mir ein Stück von meinem Körper abgeschnitten haben. (...) Durch diese Narben werde ich ständig an diese Erlebnisse erinnert. Das will ich oft nicht länger aushalten, so daß ich mir wünsche, ich wäre tot (...).“ ein 17jähriger Flüchtling aus Westafrika

„Sie haben mich verhaftet und mit anderen Jugendlichen in eine Kanalisation eingesperrt. (...) Das Wasser stank nach Scheiße. Seitdem kann ich nicht mehr gut riechen.(...) Zwei Monate habe ich in so einem Zustand verbracht. Sie haben mich nicht nur geschlagen, sondern auch mit einem Lötgerät verbrannt.“ ein 15jähriger Junge arabischer Herkunft.

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