: Kein Bock auf Geiselbefreiung
■ Polizeiführer wollte mitten im Einatz „seine Klamotten packen“ Rettungswagen mit Emanuele de Georgi stand vor verschlossenen Krankenhaustüren
Stellen Sie sich vor, es ist Geiselnahme und von der Polizeiführung geht keiner hin. Polizeioberrat Wilfried Spychala jedenfalls hatte schon gegen 20.45 Uhr keinen Bock mehr, als Gladbecker Geiselnehmer am 17. August 88 in Bremen -Huchting einen Bus gekapert hatten. „Wenn hier nicht endlich vernünftige Absprachen getroffen werden, pack ich meine Klamotten und geh nach Hause“, will Spychala laut durch das Lagezentrum gemault haben - nur einen guten Meter entfernt von Bürgermeister Wedemeier, der derweil auf Polizei-Monitoren das Geschehen verfolgte, während sein Fahrer sich die Zeit in der Funkleitstelle vertrieb.
Von der verhängnisvollen Festnahme von Marion Löblich will Spychala im allgemeinen Tohuwabohu z.B. überhaupt nichts mitbekommen haben. Immerhin: Spychala war Leiter des Polizeistabs und damit zweiter Mann in der Einsatzleitung. Was er die ganze Zeit gemacht hat, war dem Untersuchungsausschuß gestern nach Spychalas Vernehmung genauso rätselhaft wie vorher.
Macht allerdings insofern nichts, als es neben der offiziellen Einsatzleitung noch eine zweite, quasi heimliche Befehlsstelle der Polizei gegeben haben muß. Im 4. Stock des Stadt-und Polizeiamtes saß während des Geiseldramas nämlich Polizeihauptkommissar Dieter Beckmann und leitete das Mobile Einsatzkommando vor sich hin. Mit der Einsatzleitung hatte Beckmann nur per Telefon Kontakt. Mit seinen MEK -Beamten am Grundbergsee eigentlich gar keinen: Sein Funkgerät war zu schwach. Was Beckmann eigentlich gemacht hat, während seine Beamten vor Ort Marion Löblich festnahmen und erst nach endlosem Funk-Hin-und-Her wieder freiließen, blieb gestern allerdings gleichfalls dunkel: Ausgerechnet über die dramatische Phase zwischen 22.23 und 23.15 Uhr gibt es im persönlichen Tätigkeitsprotokoll des MEK-Leiters nämlich keinerlei Angaben. Mündlich beteuerte Beckmann gestern, um 22.47 habe er telefonisch von der Löblich -Festnahme erfahren und bereits fünf Minuten später auf eigene Faust entschieden: Die Frau wird freigelassen.
Warum ausgerechnet diese Anweisungen in Beckmanns schriftlichem Tätigkeits-Protokoll fehlen? Beckmanns Aufklärung löste gestern ungläubiges Kopfschütteln aus: „Ich habe dazu nicht das Telefon in meinem Dienstzimmer benutzt, sondern bin in einen Nebenraum gegangen. Deswegen ist versäumt worden, das im Ablauf-Protokoll zu notieren.“
Versäumnisse werden inzwischen auch bei den Rettungsversuchen des schwerverletzten Emanuele de Georgi immer deutlicher. Als das Rotenburger Rettungs-Team in der St.-Jürgen-Klinik ankam, fand es dort statt des erwarteten Rettungsteams verschlossene Türen. Rettungsfahrer Bernd Hastedt: „Ich hatte erwartet, daß wir wenigstens eingewiesen werden.“ Stattdessen mußten die Rotenburger Sanitäter durch das BremerKrankenhausgelände irren. Das OP-Team wartete derweil geduldig im „Schockraum“ der Klinik.
K.S.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen