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Kaum einer mag sie ...

■ ... doch alle kommen wieder: Die US Open sind das ungeliebteste Turnier / Steffi Graf gewann und schätzte die "besondere Herausforderung"

New York (dpa) – Kaum einer mag sie, doch alle gehen hin. Die US Open sind bei den Tennisprofis das mit Abstand ungeliebteste Turnier der Welt, und die Beschwerden der Aktiven hielten bis zum letzten Tag an. Nachdem Alexander Wolkow im Halbfinale gegen Pete Sampras eine ebenso lustlose wie beschämende Vorstellung geboten hatte und glatt mit 4:6, 3:6, 2:6 vom Platz gefegt wurde, reihte er sich in die lange Liste der Ankläger ein. Es sei, gelinde gesagt, eine Frechheit, wenn man im Halbfinale erstmals in die völlig ungewohnte Umgebung des Center Court geschickt werde, während der Gegner all seine Spiele in dieser Arena bestreiten durfte. Und der Australier Wally Masur, der gegen den Überraschungsfinalisten Cedric Pioline aus Frankreich mit 1:6, 7:6 (7:3), 6:7 (2:7), 1:6 verloren hatte, ergänzte höflich, in Flushing Meadow sei „alles ein bißchen verrückter als anderswo“.

Lärm, Gestank, Hitze, Unruhe, schlechtes Essen und die Willkür der Organisatoren – so lauten die meistgenannten Kritikpunkte an den US Open, die Boris Becker in seinem Beliebtheitsgrad „ganz unten auf der Richter-Skala“ ansiedelt. „Da gibt es drei Toiletten für 200 Spieler. Wenn da einer Durchfall hat, ist die Toilette zu“, so der Leimener, „und die Trainingsplätze liegen direkt neben der Müllhalde. Da ist ein Geruch! Unwahrscheinlich!“ Die Weißrussin Natalia Zwerewa hat den Platz 23 direkt neben einer der Imbißbuden den „Hamburger Court“ getauft, „weil der so riecht“.

Immerhin hatten die Turnier- Organisatoren in diesem Jahr den Platz Nummer drei direkt neben den Entlüftungsrohren des Küchentrakts für Wettkampfspiele gesperrt. Jim Courier mußte hier einmal in seinen jungen Jahren spielen, und er sagte dieser Tage, eines der höchsten Privilegien seines Aufstiegs in der Weltrangliste sei es, „von solchen Plätzen verschont zu werden“.

Zu den heftigsten US-Open- Kritikern in diesem Jahr gehörte Debütant Andrej Medwedew, dessen Zweitrundenspiel gegen den Amerikaner Richey Reneberg auf dem „Grandstand“ minutenlang unterbrochen werden mußte, nachdem eine Windböe Popcorn- Becher, Pizzareste, Plastik-Eßbestecke und zerbrochene Flaschen von der Tribüne auf den Platz geweht hatte. Der Ukrainer fand nach jedem seiner Spiele einen neuen Ansatz zur Kritik. Zuerst die Spielerlounge, zu der – ein Novum – sogar Journalisten Eintritt hatten und in der es lauter sei als in einer Studentenmensa. Außerdem, so Medwedew, werde man dort „vergiftet, weil die 100 Tonnen Spaghetti für 1.000 Leute kochen, anstatt jedem seine eigene Portion“. Und die Zuschauer könne man tausendmal um Ruhe bitten, sie würden dennoch weiterplappern und auf der Tribüne spazierengehen.

Im Viertelfinale durfte der Ukrainer endlich Flushing Meadow verlassen, nachdem er gegen Pioline verloren hatte. Der Franzose hatte indes – wen wundert's? – nach seinem Siegeszug nichts an dem mit 9,022 Millionen Dollar höchstdotierten Turnier der Welt auszusetzen: „Eine verrückte Stadt, ein verrücktes Turnier, aber ich liebe es.“ Die frischgekürte Siegerin Steffi Graf dachte ähnlich. Ihre Erfolgsserie rieß auch in New York nicht ab. Mittlerweile hat sie sechs Turniere und 36 Spiele in Folge gewonnen. Und nicht nur Finalgegnerin Helena Sukowa meinte nach der 3:6, 3:6-Niederlage gegen die Brühlerin: „Es ist schwer zu sagen, ob sie auch in Zukunft so dominieren wird, sollte sie aber diese Form konservieren, ist es zu befürchten.“ Trotz dieser Konstanz sieht sich Steffi Graf immer in der Verteidigung. Was sie eher stört als die vielen Mißlichkeiten in Flushing Meadow, sind die Fragen nach Monica Seles: „Ich weiß selber, daß sie fehlt und ich auch deshalb so großen Erfolg habe, aber die Fragen nach ihr sollten jetzt aufhören.“ Bei aller Routine haben der 77. Turniersieg ihrer Laufbahn im 100. Finale und der 14. Grand-Slam-Titel doch einen besonderen Stellenwert, weil sie erstmals nach ihrem Doppel- Erfolg 1989 bei den US Open und dem folgenden Masters wieder in ihrer Lieblingsstadt überzeugen konnte: „Ich habe in New York lange nicht gut gespielt und bin froh, daß diese Serie jetzt vorüber ist.“ Ansonsten betrachtet Steffi Graf die äußeren Umstände in New York als „Herausforderung“. Damit befindet sie sich in der Minderheit, doch die Mehrheit wird nichts ändern können. Wie sagte doch Becker, der sich mächtig über seine Spielansetzung geärgert hatte, nach der Achtelfinal-Niederlage gegen den Schweden Magnus Larsson: „Das Problem ist, daß wir alle wiederkommen.“

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