Kaum Proteste gegen Verhaftung: Karadzic-Anhänger bleiben zu Hause
Nur wenige bosnische Serben haben sich Protesten gegen die Verhaftung ihres politischen Ex-Führers angeschlossen. Experten bezweifeln die Darstellung der Festnahme.
Der "Doktor" ist gefangen und nur wenige Menschen haben sich am Samstag zur Protestdemonstration in der ostbosnischen Stadt Rudo eingefunden. "Nur 18 Mitglieder der Serbisch-Demokratischen Partei SDS waren hier dabei," sagt Bojan Bajic, Serbe und ein Vertreter der nicht nationalistischen Zivilgesellschaft in Bosnien und Herzegowina. Nicht einmal die Mitglieder der Partei des Radovan Karadzic, deren langjähriger Vorsitzender er war, seien hier vor Ort für den "Doktor" mobilisiert worden, erklärt er. Die meisten bewahrten Ruhe, sie warteten ab.
Das von hohen Gebirgszügen und wilden Schluchten umgebene Rudo war einmal neben Visegrad Zentrum der serbischen Nationalisten in dieser Region, war Ort grausamer Verbrechen gegenüber der nichtserbischen Bevölkerung im Frühling und Sommer 1992. Hier halten sich immer noch einige der Freischärler auf, die damals die Schmutzarbeit für Politiker wie Karadzic übernommen hatten.
Zwar versammelten sich in Pale, der Hochburg von Karadzic, am Samstag immerhin etwas über 1.000 Demonstranten, etwa gleich viele wie in der Hauptstadt der serbischen Teilrepublik Banja Luka. Die Parolen wie "Radovan ist unser Held" oder, bezogen auf den noch flüchtigen General Ratko Mladic, "General, wir werden dich nicht verraten" ziehen offenbar nicht mehr.
Doch so einfach ist dieser Umstand wahrscheinlich nicht zu interpretieren. Der aus Sarajevo stammende, aber in der Gegend verwurzelte Mehmed Alicehajic sieht die serbische Bevölkerung in diesen Gebieten in einem Schockzustand. "Das Symbol ist weg", sagt er. "Jetzt will niemand reden." Auch Bojan Bajic meint, die serbische Bevölkerung sei jetzt zurückhaltend. Das hieße aber nicht, dass die Anhänger Karadzic ihre Position verändert hätten.
Dennoch muss es alle jene Warner in der internationalen Gemeinschaft überraschen, die in den vergangenen Jahren immer wieder Horrorszenarien nach einer Verhaftung der wichtigsten Kriegsverbrecher an die Wand gemalt hatten und mit dieser Argumentation erfolgreich waren. 13 Jahre lang scheuten sich die internationalen Sicherheitskräfte in Bosnien, die Kriegsverbrecher zu verhaften. 2004 erklärte Paddy Ashdown, damals Hoher Repräsentant in Sarajevo, das Gelände sei unzugänglich, Karadzic sei umgeben von bewaffneten Wächtern. "Nicht einmal die Wehrmacht hat es im Zweiten Weltkrieg geschafft, die Gegend unter Kontrolle zu bekommen."
Doch wie es scheint, war Karadzic in den vergangenen Jahren nicht mehr von bewaffneten Wächtern gesichert. Seine finanziell keineswegs gut gestellte Familie klagte nach den Worten von Sohn Sascha zudem, dass viele für Karadzic bestimmte Gelder in die Taschen anderer Personen gewandert seien. "Manche Leute sind wegen meines Vaters reich geworden."
Die Konten der Familie dagegen sind dagegen schon lange eingefroren. Entschädigungszahlen könne die Familie natürlich nicht leisten, wie in den USA gefordert. Tochter Sonja kontaktierte in den letzten Tagen alte Bekannte aus Sarajevo und klagte über die Armut der Familie. Wo sich Radovan Karadzic in den vergangen Jahren aufgehalten hat und wie es ihm gelungen ist, ein relativ normales Leben zu führen, wird wohl erst nach und nach bekannt werden.
Hinzu kommt, dass viele Experten den jetzt verbreiteten Informationen nicht trauen. Es würden bewusst falsche Angaben oder Halbwahrheiten gestreut, um mögliche Racheakte an denjenigen zu verhindern, die Karadzic festgenommen haben. Ob sein Neffe tatsächlich als einziger ständigen Kontakt mit dem Untergetauchten hatte, wie er behauptet, sei fraglich, wie auch die Information, Karadzic sei von Kopfgeldjägern gestellt worden.
Nach Angaben serbischer und kroatischer Medien, so der Slobodna Dalmacija aus Split, soll sich Karadzic 2006 in Kroatien, auf der Insel Ciovo bei Split aufgehalten haben - in dem Ort Gornji Okrug, kaum vier Kilometer von dem Wohnort des Korrespondenten entfernt. Zur gleichen Zeit war dieser ironischerweise in Sarajevo, um eine Filmcrew aus Hollywood um Richard Gere zu beraten, die einen Film über die Jagd auf Karadzic drehte ("The Hunting Party", Regisseur Richard Shepard). In dem Film geht es um die wahre Geschichte, wie einige Journalisten Ende der 90er-Jahre versuchten, dem Flüchtenden auf die Spur zu kommen.
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