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■ Industrieabbau im WestenKaum Hoffnungen

Mit den Meldungen aus der Berliner Wirtschaft ist es wie mit den Wetterberichten dieses Sommers: Sie geben wenig Anlaß zur Freude. Ob es der Shampoohersteller Schwarzkopf ist, der sein Gründungswerk in Tempelhof schließt, oder der Fotosatzhersteller Berthold in Steglitz, der nun Konkurs angemeldet hat – wie in einem Flächenbrand verschwinden alteingesessene Unternehmen. Hartnäckig halten sich darüber hinaus die Gerüchte über einen möglichen Abzug von BMW aus Spandau, und auch Siemens will für den Lampenhersteller Osram keine Standortgarantie abgeben. Bemerkenswert an diesen Meldungen ist die Umkehrung der Verhältnisse: Noch vor Monaten standen vornehmlich die einstigen DDR-Betriebe in den Schlagzeilen. Nunmehr erwischt es um so kräftiger den Westen. Mit einer gewissen Verzögerung zeitigt die Vereinigung nun auch ihre Ergebnisse im Westteil der Stadt. Mit einem Unterschied: Keine Treuhand ist hier zugange, die mit einem großen Schnitt die Industrielandschaft säubert, keine Massenentlassungen stehen auf der Tagesordnung. In Westberlin vollzieht sich der chirurgische Eingriff nach den Regeln der Marktwirtschaft eher leise und in Raten. Gründe dafür gibt es viele: die derzeitige Rezession, mangelnde Modernisierung, wegfallende Bundessubventionen, die Attraktivität des Umlandes. Wie immer werden die Ergebnisse dieses schleichenden Deindustrialisierungsprozesses die Arbeiter und Angestellten treffen.

Das Traurige an der Lage ist der völlige Mangel einer Alternative. Zwar wird in Berlin gerne vom zukunftsweisenden Dienstleistungsgewerbe geredet; von 60.000 neuen Arbeitsplätzen gar in Zusammenhang mit der Ausrichtung von Olympia. Zumeist entpuppen sich solche Versprechungen jedoch als rhetorische Seifenblasen. Wo Schwerpunkte gesetzt werden müssen, was in Zukunft an der Spree noch produziert werden soll und was möglicherweise nicht – darüber gibt es viele gutgemeinte Ratschläge und Vorstellungen. Auch ein Ideenaustausch zwischen Wirtschaft, Senat und Gewerkschaften findet statt. Aber er vollzieht sich genauso leise und unbeachtet wie viele Betriebsschließungen. Sicherlich sind die Möglichkeiten des Senats bescheiden. Ansätze einer Regulierungspolitik – so geschehen bei der Sicherung von Industrieflächen – tragen nur so weit, wie sich auch Investoren finden lassen. Eines aber kann und muß der Senat allemal tun: endlich die dringend notwendige öffentliche Diskussion darüber anschieben, wo die Berliner im Jahr 2000 noch arbeiten werden. Severin Weiland

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