Katrin Seddig Fremd und befremdlich: Geht weg mit euren nackten Körpern, zieht euch was an!
Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Letzte Woche, bevor es hier so schön geregnet hat, war ich in meinem Lieblingspark in Hamburg, in Planten un Blomen. Ich stelle mein Stühlchen auf, klappe meinen Laptop auf und mache mich ans Arbeiten. Am Nachmittag lassen sich einige Grüppchen um mich herum nieder. Obwohl es gar nicht mal so warm ist, entkleiden sich sämtliche Jungmännlein. Raus aus der Hose, runter mit dem T-Shirt, so hocken sie neben mir, als wären sie alle eben unserem gemeinsamen Bett entstiegen.
Der eine räkelt sich auf seiner Picknickdecke, gähnt, reibt sich den weißen, weichen Bauch, sein gebräunter Nachbar neben ihm, mit geschwollenen Brustmuskeln, die Arme abgespreizt wie ein Gorilla, rülpst. Der neben ihm hat eine Ansammlung von Pickeln auf den Schultern, ein kleiner Stämmiger ist, soweit ich das sehen kann, ganzkörperrasiert, alle sind tätowiert, und alle haben jedenfalls kein Problem damit, sich nackig zu machen.
Ich denke, sie hätten ganz gern auch alle ihren hübschen Penis auf die Decke gelegt. Sie sind mir sehr präsent, in ihrer nackten Selbstbehauptung. Und ich gestehe an dieser Stelle etwas, was mir wieder viel Ärger einbringen wird, sei es drum: Ich fühle mich von so viel naher, intimer, selbstverständlicher, aggressiver Nacktheit belästigt! Geht weg mit euren nackten Körpern, rückt wenigstens zwanzig Meter ab, oder zieht euch was an!
Zwei aufgedonnerte Jungfrauchen laufen vorbei. Ultrakurze Shorts, viel Farbe im Gesicht, ihre hohen Absätze sacken im Gras ein. Einer der Jungen pfeift. Der andere schüttelt missbilligend den Kopf „Sind doch Schlampen. Sieht man doch“, sagt er und betrachtet seine zuckenden Brustmuskeln. „Ich steh’mehr so auf natürliche Frauen.“ Die anderen lachen. „Ernst“, sagt der Muskeljunge, „ich gestern so zu Janine: Wenn du so rumlaufen willst, kannst du gleich für mich anschaffen gehen.“ „Wieso jetzt?“ „Guck dir die doch mal an, Alter, die wollen gepoppt werden, sieht man doch!“
Arme Janine. Ich sehe mich auf der Wiese um, alle Frauen sind vollständig angezogen, die meisten Männer sind obenrum nackt. Wenn ich mich jetzt bis auf die Unterhose entkleiden würde, wie es der Junge neben mir tat, dann würde mir das was einbringen? Empörung, Befremdung, Gelächter, Abscheu womöglich? Und alles wegen meiner Brüste. Dabei hat der blasse Junge, der sich auf der Decke rekelt, auch ein paar recht üppige Männerbrüstlein. Nur, meine sollen anstößig sein, seine nicht. Ist das ungerecht? Ja. Sollen sie sich anziehen müssen, weil ich mich nicht ausziehen darf?
„Ich bin mehr dafür, dass alle sich ausziehen dürfen“, sagen eigentlich die meisten, mit denen ich diese Diskussion bisher führte. Am Strand nehme ich das hin, im Park und mit Abstand eben gerade so, aber ich sah mich schon oft genug nackten männlichen Oberkörpern im Gang vom Supermarkt gegenüber. Zieh dir was an, möchte ich sagen. Ich sage es nicht. Sie dürfen es ja, so nackt herumprotzen, mit ihren albernen Muskeloberkörpern, die sie stolz ausführen wie ein Hündchen. Ach, möchte man sagen, wie geht es denn dem kleinen Oberkörperchen, ist es hübsch gebräunt und geschwollen? Zeig doch mal, wie schön es anschwellen kann? Kann es sich schön aufblasen?
Aber auch der schlaffe, unsportliche Mann macht sich gerne nackig. Schlaff, ungepflegt und stolz bietet er sich dem öffentlichen Auge dar. Sieh, Öffentlichkeit, was du hier haben kannst: mich. Den Dude. Denn der Mann hat ja praktischerweise zwei diametral sich gegenüberstehende Lebenshaltungsvarianten zur Auswahl: Den hyperpotenten Muskelmann oder den Scheißegal-Dude mit Wampe und Charme. Beide Varianten sind nackt cool. Was aber blüht der fünfzigjährigen Frau, die sich aus Protest eben auch mal nackig macht?Die Parkaufsicht.
Äh, nein, ich habe das nicht getan. Ich bin abgerückt. Ich will es ja auch gar nicht, ich will es nur können, wenn ich schon diese nackten Primaten ertragen muss, die weder Benehmen und schon gar keinen Stil haben. Dezenter Abstand, eine (lange) leichte Hose, ein leichtes Hemd – ein schöner Traum!
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