Katrin Seddig Fremd und befremdlich: In Hannover werden Müllwerkerinnen mit Lippenpflegestiften geködert
Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Trittbrettfahrerin gesucht! „Werde Müllwerkerin bei aha!“, hieß es in der Kampagne #megahappy, mit der der Abfallversorger Hannovers im Juni vergangenen Jahres mehr Frauen in den Beruf locken wollte. „Als Heldin in Orange arbeitest du mit tollen Kollegen und sorgst für saubere Straßen“, konnte man dort lesen. Und: Nicht das Geschlecht zählt, sondern die Leistung. Im August wurde ein Speeddating angeboten, bei der die interessierten Frauen sich nach den Anforderungen erkundigen, das Mitfahren auf dem Müllwagen einmal ausprobieren, einen Pflegeparcours absolvieren konnten. Als besondere Aufmerksamkeit hatte man sich ausgedacht, ihnen einen Lippenpflegestift mitzugeben.
Vier Frauen sind nun in Hannover Anfang Januar als Müllwerkerinnen angetreten. Das ist schon eine Meldung wert, denn Frauen gab es zwar schon bisher im Unternehmen, aber nicht als Müllwerkerinnen. Die Deutsche Presse-Agentur hat die Frauen interviewt. Und sie haben sich positiv geäußert. „Die Arbeit auf dem Trittbrett sei auch ein Bauch-Beine-Po-Training – nur ohne zu bezahlen“, sagte eine der Frauen.
So funktioniert das offensichtlich, habe ich mir nun überlegt, #megahappy, Lippenpflegestift, Speeddating, Bauch-Beine-Po-Training. Da lassen sich doch an allen Berufen noch Aspekte finden, die auch einer Frau zusagen könnten. Man muss die Frauen nur richtig verstehen, sich nur mal in ihre weiblichen Gehirne versetzen, die eben einfach anders funktionieren, als so ein männliches Gehirn, und schon bekommt man engagierte Arbeitnehmerinnen für sein Unternehmen. Da nennen wir die Kampagne #megahappy, so was macht doch jede Frau gleich megahappy.
Dann machen wir ein Speeddating, und gut, ich will das Speeddating nicht schlecht machen. Das ist schon eine lustige Idee. Auch Männer gehen zu Speeddatings, es ist eine Erfindung der effizienten Neuzeit und keinesfalls ein reines Frauending, ich weiß nur nicht, ob der Mann seinen Kumpeln gerne erzählt, dass er jetzt zu einem beruflichen „Speeddating“ geht −zwinker, zwinker. Aber das ist Korinthenkackerei, also Speeddating ist einfach lustig.
Aber nehmen wir an, ein Mann ginge zu einem beruflichen Speeddating, und damit er sich gut fühlt und auch etwas „von diesem Tag mitnehmen kann“, schenkt man ihm einen Lippenpflegestift. Und dann käme der Mann zu seinen Kumpeln und sagte: „Guckt doch mal, was sie mir bei diesem Speeddating für einen schönen Lippenpflegestift geschenkt haben, da bin ich doch jetzt sehr motiviert, da anzufangen.“ Ich meine, Männer haben auch Lippen. Die können rau werden, austrocknen, aufplatzen gar. Warum nicht Männer mit Lippenpflegestiften in einen Beruf locken?
Und wenn dann der Mann seinen Beruf antritt, es ist ein schwerer Beruf, eine harte körperliche Arbeit, er gewöhnt sich, er bekommt Muskeln, dann trifft er also die Kumpels wieder und die fragen, wie es ihm mit dem neuen Job geht und er sagt, „Was mir besonders gefällt, die Arbeit auf dem Trittbrett ist auch ein Bauch-Beine-Po-Training.“
Gegen ein Bauch-Beine-Po-Training ist natürlich nichts zu sagen, besonders, wenn es kostenlos ist. Auch nicht gegen Lippenpflege oder gegen megahappy Sachen. Und ich kann verstehen, dass die Müllwerkerin das gesagt hat. Ich hätte das sagen können. Ich hätte auch den Lippenpflegestift genommen und die Idee des Speeddatings megahappy aufgenommen. Man hat sich offenbar Gedanken gemacht, um Frauen anzusprechen, dafür sollten die Frauen dankbar sein. Am Ende kommt dann die glückliche Frau, die jetzt diesen harten Job ausübt, selbst zu Wort und sagt was von Bauch-Beine-Po. Da schmunzeln wir alle, auf so was frauenspezifisch Gutes ist ja noch gar keiner gekommen, das ist ihr ganz von selbst eingefallen. Wie Frauen nun mal sind.
Und dann habe ich nur noch eine kleine Überlegung zum Schluss, warum Bauch-Beine-Po ein eher weibliches Trainingsprogramm ist, wo Männer doch nicht nur auch Lippen, sondern auch einen Bauch, Beine und einen Po haben.
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